Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Untitled

Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
Vom Netzwerk:
ich jedoch, ich hätte das als Junge alles gelernt. Ich habe erlebt, daß ich Träume nicht von der Wirklichkeit unterscheiden kann. Ich bin mir nicht sicher, was Traum oder Wirklichkeit ist. Ich bin mir wirklich nicht sicher.«
    »Versuchen Sie, mir Ihre ersten Eindrücke zu schildern«, sagte ich.
    »Nicht gerade fröhlich«, sagte er. »Ich habe schon immer unter Schlaflosigkeit gelitten. Ich konnte nie mehr als eine bis zwei Stunden am Stück schlafen. Ich kann mich nicht daran erinnern, daß ich einmal nicht müde war. Und deprimiert – ich hatte mein ganzes Leben lang das Gefühl, ich muß mich selbst aus dem Sumpf ziehen. Ich versuche nicht, Ihre Arbeit zu machen, aber ich halte nicht besonders viel von mir.«
    Alles, was wir über Gary Soneji wußten, wies auf eine ganz andere Persönlichkeit hin: hohe Energie, positive Einstellung und eine besonders hohe Selbsteinschätzung.
    Gary fuhr damit fort, eine Schreckenskindheit zu schildern, zu der körperliche Mißhandlungen durch seine Stiefmutter gehörten, als er klein gewesen war; sexueller Mißbrauch durch seinen Vater, als er größer gewesen war. Immer wieder schilderte er, wie er gezwungen gewesen war, sich von den ganzen Ängsten und Konflikten um ihn herum abzusondern. 1961 war seine Stiefmutter mit ihren beiden Kindern eingezogen. Gary war vier Jahre alt und schon damals launisch gewesen. Von diesem Zeitpunkt an war es schlimmer geworden. In welchem Ausmaß es schlimmer geworden war, wollte er mir jetzt noch nicht sagen.
    Im Zusammenhang mit der Betreuung durch Dr. Walsh hatte Soneji/Murphy Wechsler-, Persönlichkeitsspaltungs- und Rorschach-Tests über sich ergehen lassen. Seine Bewertungen lagen im Bereich der Kreativität. Das wurde mit der Fähigkeit, einen Satz zu beenden, gemessen. Er war sowohl bei verbalen als auch bei schriftlichen Erwiderungen hoch eingestuft worden.
    »Was sonst noch, Gary? Versuchen Sie, soweit wie möglich in die Vergangenheit zurückzugehen. Ich kann Ihnen nur helfen, wenn ich Sie besser verstehe.«
    »Da waren immer diese ›verlorenen Stunden‹. Zeiten, für die ich keine Rechenschaft geben konnte«, sagte er. Beim Sprechen hatte sich sein Gesicht immer stärker angespannt. Die Adern im Hals stachen heraus. Leichter Schweiß lief ihm über das Gesicht.
    »Sie haben mich bestraft, weil ich mich nicht erinnern konnte …«, sagte er.
    »Wer war das? Wer hat Sie bestraft?«
    »Meistens meine Stiefmutter.«
    Das hieß vermutlich, der meiste Schaden sei angerichtet worden, als er noch klein gewesen, als seine Stiefmutter für die Erziehung zuständig gewesen war.
    »Ein dunkler Raum«, sagte er.
    »Was ist in dem dunklen Raum passiert? Was für ein Raum war das?«
    »Sie hat mich hingebracht, nach unten in den Keller. Es war unser Keller, und sie hat mich fast jeden Tag dorthin gebracht.«
    Er atmete stoßweise. Das war ungeheuer schwierig für ihn, ein Zustand, den ich schon oft bei Opfern von Kindesmißhandlung gesehen hatte. Er schloß die Augen. Erinnerte sich. Sah eine Vergangenheit vor sich, die er nie wieder hatte erleben >
    wollen.
    »Was hat sich in dem Keller abgespielt?«
    »Nichts … nichts hat sich abgespielt. Ich wurde nur dauernd bestraft. Mir selbst überlassen.«
    »Wie lange wurden Sie dort unten eingesperrt?«
    »Ich weiß es nicht … Ich kann mich an nichts erinnern!« Seine Augen gingen halb auf. Er beobachtete mich durch schmale Schlitze.
    Ich war mir nicht sicher, wieviel er noch einstecken konnte. Ich mußte ihn behutsam auf die härteren Teile seiner Geschichte bringen, ihm das Gefühl geben, mir liege etwas daran, er könne mir vertrauen, ich hörte zu.
    »Manchmal einen ganzen Tag lang? Über Nacht?«
    »O nein. Nein. Es war lange, lange. Damit ich es nicht wieder vergesse. Damit ich ein guter Junge bin. Kein böser Junge.«
    Er schaute mich an, sagte aber nichts mehr. Ich spürte, daß er darauf wartete, etwas von mir zu hören.
    Ich versuchte es mit Lob, was mir als angemessene Reaktion vorkam. »Das war gut, Gary, ein guter Anfang. Ich weiß, wie schwer das für Sie ist.«
    Während ich den erwachsenen Mann anschaute, stellte ich mir einen kleinen Jungen vor, der in einen dunklen Keller eingesperrt wurde. Jeden Tag. Wochenlang, Wochen, die ihm noch viel länger vorgekommen sein mußten. Dann dachte ich an Maggie Rose Dunne. War es möglich, daß er sie irgendwo eingesperrt hatte und sie noch am Leben war? Ich mußte ihm die finstersten Geheimnisse entlocken, und zwar schneller, als das bei

Weitere Kostenlose Bücher