Untitled
möchte noch was für dich tun. Ich möchte, daß auch du was für mich tust.«
Und so taten wir etwas füreinander.
Bis jetzt waren Jezzie und ich uns noch nicht leid. Hier im Paradies trat genau das Gegenteil ein.
An jenem Abend saßen wir in einer Bar im Freien. Wir ließen die sorglose Inselwelt an uns vorbeiziehen und fragten uns, warum wir nicht einfach ausstiegen und ein Teil von ihr wurden. Wir aßen Shrimps und Austern und redeten stundenlang. Wir ließen die Scheuklappen fallen, vor allem Jezzie.
»Ich war wirklich ein getriebener Mensch, Alex«, sagte Jezzie zu mir. »Ich meine, nicht nur bei dem Kidnappingfall, wo ich mich in jede Besprechung gedrängt habe, jedem Phantom nachgejagt bin. Ich bin so gewesen, seit ich mich erinnern kann. Sobald ich einer Idee folge, lasse ich nicht locker.«
Ich sagte nichts. Ich wollte ihr zuhören. Ich wollte alles wissen, was es zu wissen gab.
Sie hob den Bierkrug. »Hier sitze ich mit einem Bier in der Hand. Weißt du, meine Eltern waren beide Alkoholiker. Sie waren krank, ehe das Mode wurde. Niemand außerhalb unseres Hauses wußte, wie schlimm es war. Sie schrien sich ständig an. Mein Dad sackte meistens weg. Schlief im Sessel. Meine Mutter blieb die halbe Nacht am Eßzimmertisch wach. Ihr Jamesons war ihr ein und alles. Sie sagte immer: ›Bring mir noch einen Jamesons, kleine Jezzie.‹ Ich war die kleine Cocktailkellnerin der beiden. So habe ich mir mein Taschengeld verdient, bis ich elf war.«
Jezzie schwieg und schaute mir in die Augen. Ich hatte sie noch nie so verletzlich und unsicher erlebt. Meistens strahlte sie ein starkes Selbstbewußtsein aus. Das war ihr Ruf beim Secret Service. »Willst du jetzt gehen? Soll ich über fröhlichere Dinge reden?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Jezzie. Ich will alles hören, was du zu sagen hast. Ich will alles über dich wissen.«
»Sind wir immer noch in den Ferien?«
»Ja, und ich will das wirklich hören. Sprich einfach mit mir. Vertrau mir. Wenn mir langweilig wird, stehe ich einfach auf und lasse dich mit der Barrechnung sitzen.«
Sie lächelte und fuhr fort. »Auf seltsame Weise habe ich meine Eltern geliebt. Ich glaube, sie haben mich geliebt. Ihre ›kleine Jezzie‹. Ich hab mal zu dir gesagt, ich wollte kein Versager wie meine Eltern werden.«
»Vielleicht hast du bloß ein bißchen untertrieben.« Ich lächelte.
»Ja. Jedenfalls habe ich spätabends und an den Wochenenden Überstunden gemacht, als ich zum Service kam. Ich habe mir unmögliche Ziele gesetzt – Einsatzleiterin mit achtundzwanzig – und jedes Ziel früher erreicht als geplant. Das ist ein Grund dafür, daß es mit meinem Mann danebengegangen ist. Mein Beruf war mir wichtiger als unsere Ehe. Willst du wissen,
warum ich angefangen habe, Motorrad zu fahren?«
»Ja. Und warum du mich auf dein Motorrad setzt.«
»Weißt du«, sagte Jezzie, »ich konnte nie mit der Arbeit aufhören. Konnte nicht abschalten, wenn ich abends nach Hause kam. Das kann ich erst, seit ich das Motorrad habe. Wenn man zweihundert fährt, muß man sich auf die Straße konzentrieren. Alles andere verschwindet. Schließlich auch die Arbeit.«
»Das ist einer der Gründe, warum ich Klavier spiele«, sagte ich. »Das mit deinen Eltern tut mir leid, Jezzie.«
»Ich bin froh, daß ich dir endlich von ihnen erzählt habe«, sagte Jezzie. »Ich habe es vor dir noch niemandem erzählt. Niemand sonst kennt die ganze Wahrheit.«
Wir hielten uns in der kleinen Inselbar in den Armen. Ich hatte mich Jezzie noch nie so nahe gefühlt. Von allen Zeiten, die wir zusammen verbrachten, war das diejenige, die ich nie vergessen würde. Unser Besuch im Paradies.
Plötzlich und viel zu schnell war unser Urlaub zu Ende.
Wir saßen an Bord einer American-Airlines-Maschine, dem Bericht nach auf dem Rückweg in tristes Regenwetter. Auf dem Rückweg zur Arbeit.
Während des Flugs waren wir ein bißchen distanziert. Wir fingen gleichzeitig mit einem Satz an und mußten dann das Spielchen »erst du« spielen. Zum ersten Mal auf der ganzen Reise fachsimpelten wir, obwohl uns vor Gesprächen über unsere Arbeit graute.
»Glaubst du wirklich, daß er eine gespaltene Persönlichkeit hat, Alex? Weiß er, was Maggie Rose passiert ist? Soneji weiß es. Weiß es Murphy?«
»Auf einer bestimmten Ebene weiß er es. Das eine Mal, als er über Soneji gesprochen hat, hatte er Angst. Ob Soneji nun eine separate Persönlichkeit ist oder sein wahres Ich, er hat Angst vor ihm. Soneji
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