Untitled
Kerl, der noch stand. »Er ist total daneben. Heutzutage gibt es jede Menge Druck. Zum Teufel, wir haben schwarze Kollegen. Wir haben schwarze Freunde. Was kann ich schon sagen? Es tut uns leid.«
Mir tat es auch leid. Mehr, als ich diesen Arschlöchern sagen wollte. Ich wandte mich ab, und Jezzie und ich gingen zum Auto zurück. Meine Arme und Beine fühlten sich an, als wären sie aus Stein. Mein Herz hämmerte wie ein Bohrturm.
»Tut mir leid«, sagte ich zu ihr. Mir war übel. »Ich kann solchen Scheißdreck nicht mehr wegstecken. Ich kann nicht mehr weglaufen.«
»Ich verstehe«, sagte Jezzie leise. »Du hast getan, was du tun mußtest.« Sie war auf meiner Seite. In dieser Sache im Guten wie im Bösen.
Wir hielten uns in meinem Auto eine Weile in den Armen. Dann fuhren wir nach Hause, um zusammenzusein.
55. Kapitel
Am ersten Oktober bekam ich Gary Murphy wieder zu sehen. Der angebliche Grund war »neues Beweismaterial«. Inzwischen hatte die halbe Welt mit Nina Cerisier gesprochen. Die »Komplizentheorie« hatte ein Eigenleben bekommen.
Wir kämmten die Gegend um das Haus der Cerisiers ab. Ich hatte von Verbrecheralben bis zu Phantombildern alles an Nina Cerisier ausprobiert. Bis jetzt hatte sie noch niemanden gefunden, der dem »Komplizen« auch nur ähnlich sah.
Wir wußten, er war ein Mann, ein Weißer, und Nina glaubte, er habe einen stämmigen Körperbau. Das FBI behauptete, die Suche nach dem Piloten in Florida werde verstärkt. Das konnten wir in Ruhe abwarten. Ich war wieder im Spiel.
Dr. Campbell ging mit mir den Flur im Hochsicherheitstrakt im Gefängnis Lorton entlang. Insassen schauten uns böse an, als wir vorbeigingen. Ich schaute böse zurück. Ich kann auch ganz schön finster dreinschauen.
Schließlich erreichten wir den Zellenblock, in dem Gary Soneji/Murphy immer noch festgehalten wurde.
Soneji/Murphys Zelle und der Gang davor waren gut beleuchtet, aber er schaute uns von der Pritsche aus mit zusammengekniffenen Augen an. Es war, als blickte er aus einer dunklen Höhle.
Es dauerte einen Augenblick, bis er mich erkannte.
Als er mich erkannte, lächelte er. Er sah immer noch wie ein netter junger Mann aus einer Kleinstadt aus. Gary Murphy. Ein Mitspieler in einer Neuverfilmung von Ist das Leben nicht schön? aus den neunziger Jahren. Ich dachte daran, daß sein Freund Simon Conklin mir gesagt hatte, Gary Murphy könne jede Rolle spielen, die er spielen müsse. Das gehörte dazu, daß er ein Neunundneunzigprozentiger war.
»Warum sind Sie nicht mehr zu mir gekommen, Alex?« fragte er. Seine Augen hatten jetzt einen fast trauervollen Ausdruck. »Ich hatte niemanden, mit dem ich sprechen konnte. Die anderen Ärzte hören nie zu. Nicht richtig, nein, sie hören nicht richtig zu.«
»Man hat mich eine Zeitlang nicht zu Ihnen gelassen«, sagte ich. »Aber das hat sich erledigt, deshalb bin ich wieder da.«
Er sah verletzt aus. Er nagte an der Unterlippe und schaute auf seine Gefängnisschuhe aus Segeltuch hinunter.
Plötzlich verzerrte sich sein Gesicht, und er lachte laut auf. Das Geräusch hallte in der kleinen Zelle wider.
Soneji/Murphy beugte sich zu mir vor. »Wissen Sie, Sie sind auch bloß ein blöder Scheißkerl«, sagte er. »So verflucht leicht zu manipulieren. Genau wie alle anderen vor Ihnen. Schlau, aber nicht schlau genug.«
Ich starrte ihn an. Überrascht. Vielleicht etwas schockiert.
»Die Lichter sind an, aber es ist niemand zu Hause«, kommentierte er den Gesichtsausdruck, den ich gehabt haben muß.
»Nein. Ich bin da«, sagte ich. »Ich habe Sie nur stärker unterschätzt, als ich gedurft hätte. Mein Fehler.«
»Hat uns jetzt die Realität eingeholt?« Das schreckliche Grinsen blieb auf seinem Gesicht. »Sind Sie sicher, daß Sie's jetzt kapiert haben? Sind Sie sicher, Herr Doktor und Detective?«
Natürlich begriff ich. Ich hatte eben zum ersten Mal Gary Soneji getroffen. Gary Murphy hatte uns eben miteinander bekannt gemacht. Man nennt das einen schnellen Schub.
Der Kidnapper starrte mich an. Er war voller hämischer Freude, gab an, war zum ersten Mal mir gegenüber er selbst.
Vor mir saß der Kindermörder. Der glänzende Imitator und Schauspieler. Der Neunundneunzigprozentige. Lindberghs Sohn. Das alles und vermutlich noch mehr.
»Sind Sie okay?« fragte er. Er äffte meine frühere Sorge um ihn nach. »Alles in Ordnung, Herr Doktor?«
»Mir geht's bestens. Keinerlei Probleme«, sagte ich.
»Wirklich? Mir kommen Sie nicht okay vor. Ihnen fehlt
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