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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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schwüler Nachmittag. Sie schritten eine steile gepflasterte Gasse hinab, die gerade breit genug für ein Auto war. Oliver hatte es eilig, in seinem Kopf drehte sich alles, seine Absätze hallten auf dem Pflaster. Er kam an kleinen Villen und vertrauten Gesichtern vorbei. In einem Garten sah er auf einer Schaukel Carmen in ihrem weißen Partykleidchen, Sammy Watmore stieß sie an. Nebenan mähte Tiger den Rasen, und der tote Jeffrey mit seiner goldblonden Mähne sah ihm dabei zu. In einem Dachfenster stand die nackte Zoya und winkte ihm. Nach links zweigte ein Weg ab. Er bog dort ein, lief ein Stück; immer gefolgt von Derek. Er gelangte an eine breite Straße und sah weiter vorne in einer Parkbucht bei einer Straßenbahnhaltestelle den gelben Audi warten. Die hintere Tür sprang auf, Derek stieg nach ihm ein. Die Mädchen hatten sich für die Namen Pat und Mike entschieden. Pat war heute brünett. Mike, ihre Beifahrerin, trug ein Kopftuch.
    »Warum haben Sie ausgeschaltet, Ollie?« fragte Mike über die
Schulter, als sie losfuhren.
»Hab ich nicht.«
    Sie fuhren bergab, Richtung See und Stadt.
    »Doch, haben Sie wohl. Kurz bevor Sie gegangen sind.« »Kann sein, daß ich aus Versehen drangestoßen bin«, sagte Oliver auf seine legendär vage Art. »Conrad hat mir ein Dokument zum Lesen mitgegeben«, erzählte er Derek und gab ihm die Aktentasche.
    »Wann hat er das getan?« hakte Mike nach und ließ Oliver im Rückspiegel nicht aus den Augen. »Was?«
    »Ihnen das Dokument gegeben.«
    »Er hat es mir einfach hingeschoben«, sagte Oliver wieder ganz vage. »Wahrscheinlich sollte es so aussehen, als ob er das gar nicht täte. Er hat Tiger in die Wüste geschickt.« »Das haben wir gehört«, sagte Mike.
    Sie setzten ihn am See ab, dort, wo die Bahnhofstraße anfängt.

    15
    Bei seinem Gang durch die Bank war Oliver geistig nicht ganz präsent. Er lächelte und log, er lächelte und schüttelte Hände, er setzte sich und stand auf und lächelte und setzte sich wieder. Er wartete auf Anzeichen von Panik oder Aggressivität bei seinen Gastgebern, fand aber nichts dergleichen. Die steigende Wut, die ihn durch sein Gespräch mit Conrad geführt hatte, war einer dumpfen Apathie gewichen. Von einem teakgetäfelten Büro ins andere geschickt, von alten Bekannten, an die er sich kaum erinnern konnte, über die neuesten dramatischen Veränderungen belehrt - Herr Soundso habe die Kreditabteilung übernommen, lasse aber grüßen; Frau Dr. Soundso sei jetzt Gebietsleiterin für Glarus und bedaure, ihn nicht getroffen zu haben -, schwebte Oliver in einem Zustand intermittierenden Bewußtseins, der ihn an den Wachraum nach seiner Blinddarmoperation erinnerte. Er war Niemand und tat nur, was die anderen wollten. Er war ein Ersatzschauspieler, der seinen Text nicht gelernt hatte.
    Er war aus dem Foyer der Bank in einem knopflosen Lift aus Satin und Stahl nach oben gefahren. Ein rothaariger Herr Albrecht, den er beim ersten Anblick mit einem seiner diversen Schulrektoren verwechselte, begrüßte ihn: »Wir sind sehr erfreut, Mr. Single, Sie nach so vielen Jahren und so kurz nach Ihrem guten Vater hier wiederzusehen«, sagte Herr Albrecht, als sie sich die Hand gaben. Und wie ist es meinem guten Vater gegangen, oder haben Sie ihn wie dieser miese Conrad in die Wüste geschickt? antwortete Oliver. Aber es war klar, daß er diese Fragen nur in Gedanken gestellt hatte, denn als nächstes fand er sich an der Seite einer freundlichen Matrone, die ihn einen blauen Teppichfluß hinunter zu einem Herrn Lilienfeld geleitete, der, sagte sie, erst einmal Olivers Paß fotokopieren müsse, es gebe da neue Vorschriften. - »Wie neu?« - »Sehr neu. Im übrigen ist es lange her, seit Sie das letztemal hier waren. Wir müssen uns vergewissern, daß Sie noch derselbe sind.« Das muß ich auch, dachte Oliver.
    Herr Dr. Lilienfeld bat um eine Probe von Olivers neuester Unterschrift nach der runderen, jüngeren Version von vor fünf Jahren. Selbst wenn er eine Blutprobe verlangt hätte, wäre Oliver einverstanden gewesen. Aber als die freundliche Matrone ihn zu Schulrektor Albrecht zurückbrachte, saß dort Tiger in genau dem Rosenholzsessel, den Oliver Minuten zuvor selbst eingenommen hatte. Er sah ziemlich so aus, wie Oliver erwartet hatte, ungewaschen, in seinem braunen Liebesmantel. Doch war es Oliver, nicht Tiger, den Herr Albrecht anredete, während auf den Monitoren an der Wand hinter ihm die Weltmarktpreise nach oben oder unten schwankten. Und es

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