Untitled
war ein glubschäugiger Kobold, Herr Stämpfli, und nicht Tiger, der aus dem Schatten hervortrat und sich als der Beamte vorstellte, der jetzt für die Großfamilie der Single-Konten zuständig sei. Alles sei bestens, versicherte Herr Stämpfli Oliver. Die ursprüngliche Vollmacht gelte noch immer - sie sei auf unbegrenzte Dauer erteilt - und natürlich - unterwürfiges Grinsen - brauche Oliver keine Vollmacht, wenn er sich über sein persönliches Privatkonto informieren wolle, das, wie Herr Albrecht freudestrahlend berichtete, bei ausgezeichneter Gesundheit sei.
»Schön. Großartig. Danke. Ausgezeichnet.«
»Es gibt da jedoch einen winzigen Haken«, gestand Schulrektor Albrecht über das schüttere Haupt des Herrn Stämpfli hinweg. »Sie haben um Kopien der gesamten Korrespondenz gebeten. Zu meinem größten Bedauern reicht die Vollmacht nicht dafür aus, für Sie Kopien anzufertigen. Bankkorrespondenz darf ausschließlich von Mr. Single senior persönlich abgeholt werden. Das steht ausdrücklich in den Anweisungen, und diese Einschränkung müssen wir akzeptieren.«
»Ich nehme an, daß ich mir wenigstens Notizen machen darf.« »Daß Sie das annehmen, hat Ihr Vater vorausgesehen«, sagte Herr Albrecht ernst.
Also ist es vorherbestimmt, dachte Oliver. Ich brauche mir keine Sorgen zu machen. Der Teppichfluß war diesmal orangefarben. Herr Stämpfli watete an Olivers Seite, ein Gefängniswärter, der mit den Schlüsseln rasselte.
»Hat mein Vater irgendwelche Papiere mitgenommen?« fragte Oliver.
»Ihr Vater besitzt einen hervorragend entwickelten
Sicherheitsinstinkt. Aber er hätte natürlich die Erlaubnis dazu
erhalten.«
»Natürlich.«
Das Zimmer war eine Gedächtniskapelle. Nur Tigers Leichnam fehlte. Wachsblumen, ein polierter Tisch für den lieben Verstorbenen. Körbe mit perforierten Computerausdrucken aus den Privatpapieren des Verewigten. Stapel von Kontoauszügen in Kunstledermappen mit Messingverschlüssen. Eine Heftmaschine, ein Plastikspender für Stecknadeln, Heftklammern, Gummis und geleimte Notizblöcke. Und ein Stapel Grußkarten, alle mit demselben Bild eines Engadiner Bauern, der, die Schweizer Fahne schwenkend, auf dem Gipfel eines grünen Berges stand, der Oliver an Bethlehem erinnerte. »Möchten Sie einen Kaffee, Mr. Oliver?« bot Herr Stämpfli ihm säuselnd die letzte Mahlzeit auf Erden an.
Herr Stämpfli lebte in Solothurn. Er sei geschieden, was er bedauere; aber seine Frau habe gefunden, daß ihr die Einsamkeit lieber sei als seine Gesellschaft, und was könne er da machen? Er habe eine Tochter, Yvette, die wohne bei ihm, ein bißchen dick zur Zeit, aber sie sei ja erst zwölf, und ein wenig Sport werde ihr beim Abnehmen helfen. Es war fünf Uhr, und die Bank schloß jetzt; aber es werde Herrn Stämpfli eine Ehre sein, bis acht Uhr dazubleiben, falls Oliver ihn brauche, er habe ohnehin nichts Spezielles vor, und die Abende empfinde er als besonders bedrückend.
»Wird es Yvette nicht stören, wenn Sie so spät kommen?« Yvette spielt Basketball, erwiderte Herr Stämpfli. Dienstags hat sie immer bis neun Uhr Basketball.
Oliver schrieb und las und trank zu viel Kaffee auf einmal. Er war Brock. Ich will den Glatzkopf Bernard und seine schmutzigen Geschäfte. Er war Tiger, Herr der »Satellitenkonten«, die wiederum am Tropf des Stammkontos der Single Holdings Offshore hingen. Er war wieder Oliver, auf unbegrenzte Dauer bevollmächtigt, jede seinem Partner und Vater verliehene Macht auch selbst auszuüben. Er war der Glatzkopf Bernard, Besitzer einer Stiftung in Liechtenstein, die Dervish hieß und einunddreißig Millionen Pfund Sterling wert war, und einer Gesellschaft namens Skyblue Holdings in Antigua. Bernard hält sich für kugelsicher, sagt Brock. Bernard denkt, er kann übers Wasser gehen, der Hund, und wenn es nach mir geht, säuft er ab und verbringt den Rest seines schmutzigen kleinen Lebens auf dem Meeresgrund. Er war Skyblue Holdings, und das war nicht bloß eine Villa, sondern vierzehn, und jede dieser vierzehn Villen war Eigentum einer anderen Gesellschaft mit irgendeinem albernen Namen wie Janus, Plexus oder Mentor. Bernard ist der Zahlmeister, hatte Brock gesagt, Bernard ist der größte Kopf der Hydra. Er war wieder Brock und sprach über nichtswürdige Staatsdiener, die für eine zweite Pension so ziemlich alles täten. Er war Oliver, der Sohn Tigers, und schrieb geduldig und leserlich unter dem ernüchternden Blick des Herrn Stämpfli. Er war zwölf Jahre alt
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