Untitled
lernen, und ob Tiger sich von Nadia oder Kat die Krawatte binden ließ und ob Tiger zur Zeit eine trug oder ob er sich zum Beispiel an einer erhängt hatte oder mit einer erwürgt worden war oder ob man ihm, während er eine trug, den Schädel weggepustet hatte, denn Olivers Gedanken sprangen wie Gummibälle in seinem Kopf herum, und er konnte absolut nichts dagegen machen, außer sich natürlich zu verhalten und charmant zu sein wie immer und sich einen dieser Flug- und Eisenbahnpläne zu nehmen, die er in dem Ständer neben der Rezeption erspäht hatte.
Über ihrem Tisch in einer diskreten Nische hingen Kuhglocken. An den anderen Tischen im Speiseraum saßen austauschbare Männer in grauen Anzügen und aßen mit ausdruckslosen Mienen. Pat und Mike saßen allein an einer Wand und wurden von hundert einsamen Männeraugen heimlich ausgezogen. Aggie bestellte amerikanisches Rindfleisch und Pommes Frites. Für mich dasselbe, bitte. Er hätte auch das gleiche genommen, wenn sie Kutteln und Zwiebeln bestellt hätte. In kleinen Dingen konnte er sich nicht entscheiden. Er bestellte einen halben Liter Dôle, aber Aggie wollte nur Mineralwasser: mit Kohlensäure, sagte sie dem Kellner, aber laß dich von mir nicht stören, Oliver.
»Tun Sie das, weil Sie im Dienst sind?« »Was?«
»Daß Sie nichts trinken.« Sie antwortete, aber er bekam nicht mit, was sie sagte. Du bist schön, sagte er ihr mit den Augen. Selbst in diesem fahlen weißen Licht bist du auf absurde, gesunde, strahlende Weise schön. »Eigentlich ist das eine Zumutung«, beschwerte er sich. »Was denn?«
»Den ganzen Tag jemand zu sein, und dann am Abend jemand anders. Ich weiß gar nicht mehr, wer ich jetzt sein soll.« »Sei du selbst, Oliver. Ausnahmsweise einmal.«
Er rieb sich den Kopf. »Ja, nur, davon ist leider kaum noch was übrig. Nicht nachdem Tiger und Brock nichts mehr von mir »Oliver, wenn du damit anfängst, esse ich lieber alleine.« Er schwieg eine Weile, dann nahm er einen neuen Anlauf und stellte die Fragen, die der Juniorchef den weiblichen Angestellten bei der Weihnachtsfeier für die Belegschaft des Hauses Single zu stellen pflegte: Was ihre größeren Ziele seien, in welcher Position sie sich in fünf Jahren gern sähe, ob sie Kinder haben oder Karriere machen wolle oder beides. »Ehrlich gesagt, Oliver, das interessiert mich einen Scheißdreck«, sagte sie.
Die Mahlzeit schleppte sich dahin, und als sie fertig waren, unterschrieb sie die Rechnung: Charmian West, wie er bemerkte. Er schlug vor, in der Bar noch was zu trinken - die Bar befand sich gegenüber der Rezeption. Schnell daran vorbei, und ich bin frei, dachte er. Na schön, stimmte sie zu, trinken wir noch was in der Bar. Vielleicht war sie dankbar für den Aufschub, ehe sie aufs Zimmer zurück mußten. »Was zum Teufel suchst du?« fragte sie.
»Deinen Mantel.« Heather hatte immer einen Mantel getragen, wenn sie ausgegangen waren. Sie hatte es gern, wenn er ihr hinein und hinaus half und ihn in der Zwischenzeit auf einen Bügel hängte.
»Wozu sollte ich einen Mantel tragen, wenn ich bloß vom Zimmer in den Speisesaal und zurück muß?«
Natürlich nicht. Wie dumm von mir. An der Rezeption fragte Aggie, ob irgendwelche Nachrichten für West eingetroffen seien. Nein, nichts, aber als sie weiter zur Bar gingen, hatte Oliver einen Packen Fahrpläne in der linken Jackentasche, und das Publikum hatte nichts gemerkt. Liebe ist, womit man davonkommt. In der Bar bestellte er Brandy, und sie nahm noch ein Mineralwasser, und als sie diesmal die Rechnung unterschrieb, machte er einen zweideutigen Scherz, er sei ein ausgehaltener Mann, aber sie lächelte nicht einmal. Im Lift, den sie für sich allein hatten, blieb sie auf Distanz: Sie war keine Katrina. Für das Zimmer, das sie vor ihm betrat, hatte sie schon alles voraus geplant. Er sei größer als sie, also könne er das zurecht. Sie würde das Federbett und zwei Kopfkissen nehmen, Oliver das Laken und die Steppdecke, dafür könne er auch als erster das Bad benutzen. Er glaubte leichte Enttäuschung in ihrem Blick wahrzunehmen und fragte sich, ob sie, wenn es ihm gelungen wäre, sich stärker auf sie einzustellen, statt nur seine eigenen Ziele zu verfolgen, bei den Arrangements für die Nacht versöhnlicher gewesen wäre. Er zog das Hemd aus, behielt aber Hose und Schuhe an. Er hängte das Jackett in den Schrank, nahm die Fahrpläne heraus, klemmte sie sich unter den Arm, warf sich einen Bademantel über die Schulter,
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