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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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den Abzug krümmte, gab Winter den kläglichen Rest seiner juristischen Position nicht auf. Nun gut, diese Pistole existiert als Gegenstand, aber nicht als Pistole. Es ist eine Scherzpistole. Das Ganze ist ein lustiger harmloser Streich. Hoban hat das Ding für seinen kleinen Sohn gekauft. Die Waffe ist nicht echt, und um diese für einen jungen Menschen zweifellos viel zu lange und langweilige Verhandlung ein wenig aufzulockern, hält Hoban sie mir zum Spaß vors Gesicht. Mit tauben Lippen brachte Winser ein unbeschwertes Lächeln zustande, das seiner neuesten Theorie entsprach.
    »Ein überzeugendes Argument, das muß ich schon sagen, Mr. Hoban«, erklärte er tapfer. »Was verlangen Sie von mir? Daß wir aufs Honorar verzichten?«
    Statt einer Antwort vernahm er jedoch nur die Hammerschläge von Sargtischlern, meinte sofort den Lärm der Bauarbeiter im kleinen Touristenhafen jenseits der Bucht zu hören, wo sie jetzt, nachdem sie den ganzen Winter Backgammon gespielt hatten, in letzter Minute Fensterläden, Dächer und Wasserleitungen reparierten, um den Ort für die Saison startklar zu machen. In seinem Verlangen nach Normalität fand Winser plötzlich Gefallen an den Gerüchen von Abbeizmitteln, Lötlampen, auf Holzkohlenfeuer gegrilltem Fisch, den Gewürzen der Straßenhändler und all den mehr oder weniger köstlichen Düften der Türkei am Mittelmeer. Hoban bellte seinen Kollegen etwas auf Russisch zu. Winser hörte hinter sich Füße scharren, Jackett vom Rücken, andere tasteten seinen Körper ab Achselhöhlen, Rippen, Rückgrat, Leisten. Erinnerungen an willkommenere Hände ließen ihn vorübergehend die seiner Angreifer vergessen, gewährten aber keinen Trost, als sie sich auf der Suche nach einer versteckten Waffe bis zu seinen Waden und Knöcheln heruntertasteten. Winser hatte in seinem ganzen Leben noch nie eine Waffe getragen, weder versteckt noch sonstwie, abgesehen von dem Spazierstock aus Kirschholz zur Abwehr tollwütiger Hunde und Sexualverbrecher, wenn er in Hampstead Heath spazierenging, um die Joggerinnen zu bewundern.
    Widerstrebend erinnerte er sich an Hobans allzu zahlreiches Gefolge. Von der Pistole verführt, hatte er sich kurz eingebildet, Hoban und er seien allein hier oben auf dem Hügel, unter vier Augen und niemand in Hörweite, eine Situation, die jeder … Anwalt zu seinem Vorteil zu nutzen versucht. Nun gestand er sich ein, daß Hoban, seit sie Istanbul verlassen hatten, ständig von einer Schar unappetitlicher Berater umgeben gewesen war. Ein Signor d´Emilio und ein Monsieur François, beide hatten die Mäntel über die Schultern gehängt, so daß man die Arme nicht sehen konnte, waren beim Abflug in Istanbul zu ihnen gestoßen. Winser hatte sie nicht beachtet. In Dalaman warteten zwei weitere unangenehme Personen mit einem leichenwagenschwarzen Landrover samt Fahrer auf sie. Aus Deutschland, stellte Hoban die beiden vor, nannte jedoch nicht ihre Namen. Aus Deutschland mochten sie ja sein, aber in Winsers Hörweite sprachen sie nur Türkisch; bekleidet waren sie mit den Bestatteranzügen, wie Türken vom Lande sie zu tragen pflegen, wenn sie Geschäfte machen.
    Erneut packten Hände Winser an Haaren und Schultern und drückten ihn auf dem Sandweg in die Knie. Er hörte Ziegenglöckchen bimmeln und meinte, es seien die Glocken von St. John in Hampstead, die zu seinem Begräbnis läuteten. Andere Hände nahmen ihm sein Kleingeld, die Brille und das Taschentuch ab. Wieder andere hoben seine geliebte Aktenmappe auf, und wie in einem bösen Traum sah er seine Identität, seine Sicherheit von einem Händepaar zum andern schweben, eine Mappe aus exquisitem schwarzen Leder im Wert von sechshundert Pfund, leichtfertig am Zürcher Flughafen gekauft und bar bezahlt, mit Schwarzgeld, das er von seinem auf Tigers Rat dafür eröffneten Konto abgehoben hatte. Wenn du das nächste Mal so großzügig gestimmt bist, kannst du mir mal eine anständige Handtasche kaufen, nörgelt Bunny näselnd und hebt schon die Stimme, um weitere Meckereien abzulassen. Ich setze mich ab, dachte er. Bunny bekommt Hampstead, und ich kaufe mir eine Wohnung in Zürich, in einem dieser neuen Terrassenhäuser am Hang. Tiger wird Verständnis dafür haben.
    Als wabernde gelbe Schlieren über Winsers Bildschirm rauschten, stieß er einen Schmerzensschrei aus. Schwielige Hände hatten seine Handgelenke gepackt, zerrten sie ihm auf den Rücken und verdrehten sie in entgegengesetzte Richtungen. Sein Schrei hallte langsam

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