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Untitled

Titel: Untitled Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown Author
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er sich aufgeschlagen so vors Gesicht hielt, daß es dem Lauf der Automatik nicht im Weg war.
    »Frage«, deklamierte er festlich wie ein Ausrufer. »Wer bitte war verantwortlich für die Aufbringung der SS Free Tallinn vorige Woche auf der Fahrt von Odessa nach Liverpool?« »Was weiß ich von Schiffahrtsangelegenheiten?« fragte Winser trotzig, mit noch ungebrochenem Mut. »Wir sind Finanzberater, keine Schiffsagenten. Zu Single kommen Leute, die Geld haben und Rat brauchen. Woher sie das Geld haben, ist ihre Sache. Solange sie sich dabei wie Erwachsene anstellen.«
    Erwachsen, bis es wehtut. Erwachsen, weil Hoban ein rosa Schweinchen war, noch kaum geboren. Erwachsen, weil Mirsky ein aufgeblasener polnischer Wichtigtuer war, mit egal wie vielen Doktortiteln vor dem Namen. Doktor von wo? Von was? Wieder sah Hoban am Hang hinauf, leckte an einem Finger und blätterte zur nächsten Seite seines Gebetbuchs um.
    »Frage. Wer bitte hat die italienische Polizei von einem speziellen Lastwagenkonvoi informiert, der am 30. März dieses Jahres aus Bosnien nach Italien zurückgekehrt ist?« »Lastwagen? Was weiß ich von speziellen Lastwagen? Genauso viel, wie Sie von Cricket wissen! Wenn Sie mich bitten würden, die Namen und Lebensdaten der schwedischen Könige aufzuzählen, könnte ich Ihnen eher eine Antwort geben.«
    Wieso Schweden? fragte er sich. Wie kam er jetzt auf Schweden? Warum dachte er plötzlich an schwedische Blondinen, üppige weiße Schenkel, schwedisches Knäckebrot, Pornofilme? Warum lebte er in Schweden, wenn er in der Türkei starb? Was soll´s. Noch hatte ihn sein Mut nicht verlassen. Dieser Zwerg kann mich mal, Pistole oder nicht. Hoban blätterte wieder eine Seite in seinem Gebetbuch um, aber Winser kam ihm zuvor. Wie Hoban schrie er aus Leibeskräften: »Ich weiß es nicht, Sie blöder Idiot! Fragen Sie mich nicht, kapiert?« - bis ihn ein wuchtiger Tritt Hobans an die linke Halsseite zu Boden schleuderte. Nicht das Gefühl zu reisen, sondern anzukommen. Die Sonne ging aus, er sah die Nacht, fühlte, wie sein Kopf an einen freundlichen Felsen gekuschelt war, und wußte, daß ein Stück Zeit aus seinem Bewußtsein verschwunden war und daß er dieses Stück nicht wiederhaben wollte. Hoban hatte unterdessen die nächste Frage vorgelesen. »Wer hat die in sechs Ländern gleichzeitig erfolgte Beschlagnahmung von Vermögenswerten und Schiffen veranlaßt, die sich direkt oder indirekt in Besitz der First Flag Baugesellschaft Andorra und ihrer Tochtergesellschaften befinden? Wer bitte hat die internationalen Polizeibehörden informiert?«
    »Was für eine Beschlagnahmung? Wo? Wann? Nichts ist beschlagnahmt worden! Niemand hat irgendwen informiert. Sie sind ja verrückt, Hoban! Vollkommen verrückt. Haben Sie gehört? Sie sind verrückt!«
    Winser lag noch immer am Boden, bot aber in seiner Wut alle Kräfte auf, wieder auf die Knie zu kommen, er strampelte und wand sich wie ein angeschossenes Tier, versuchte die Fersen irgendwie unter sich zu zwängen, stemmte sich halbwegs hoch und kippte gleich wieder auf die Seite. Hoban verlas weitere Fragen, aber Winser wollte sie gar nicht mehr hören - Fragen über umsonst gezahlte Provisionen, über angeblich wohlwollende Hafenbeamte, die sich als keineswegs wohlwollend erwiesen hatten, über Geldbeträge, die auf Bankkonten überwiesen und wenige Tage später konfisziert worden waren. Aber Winser wußte nichts von all dem. »Lügen!« schrie er. »Das Haus Single ist ehrlich und zuverlässig. Die Interessen unserer Kunden haben bei uns höchste Priorität.«
    »Auf die Knie und zuhören«, befahl Hoban.
    Und irgendwie gelang es Winser mit seiner neugefundenen Würde, auf die Knie zu kommen und zuzuhören. Aufmerksam. Und noch aufmerksamer. So aufmerksam, als ob Tiger selbst ihn darum gebeten hätte. Noch nie in seinem Leben hatte er so eifrig, so gewissenhaft der lieblichen Hintergrundmusik des Universums zugehört wie in diesem Augenblick, freilich nur, um das einzige Geräusch auszublenden, das er auf gar keinen Fall hören wollte, nämlich Hobans schnarrenden russischamerikanischen Baß. Freudig lauschte er dem Gekreisch der Möwen, die mit den fernen Rufen eines Muezzin wetteiferten, dem Rauschen des Meeres, über das eine Brise wehte, dem Gebimmel der Vergnügungsboote in der Bucht, die sich auf die Saison vorbereiteten. Er sah ein Mädchen aus seiner Jugendzeit nackt in einem Meer von Mohnblumen knien und war damals wie heute zu zaghaft, die Hand nach ihr

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