Untot mit Biss
der Fall. Und als er mich vom Dante’s forttrug, geschah nichts. Vielleicht ist die Macht bereits auf jemand anders übergegangen. Oder sie könnte entscheiden, mich woandershin zu bringen.«
»Wir glauben, dass Rasputin in jener Nacht etwas gegen ihn unternehmen will. Ich meine die Nacht, die ihr schon zweimal besucht habt, denn sie brachte ihm Veränderung. Du wusstest nicht, dass mein Bruder ihn geschaffen hat, oder?«
»Tomas erwähnte einen Fluch.«
Mircea schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, wo er das hörte, Cassie. Vielleicht glaubt er an einen Fluch, weil Louis-César nicht weiß, was es bedeutet, einen Herrn zu haben. Wie ich musste er sich allein zurechtfinden, mit nur wenig Anleitung. Da mein Bruder gefangen war, wurde Louis-Césars Geburt erst viel später registriert. Als die Meister von seiner Existenz erfuhren und versuchen konnten, Anspruch auf ihn zu erheben, war er bereits zu stark. Radu biss ihn zum ersten Mal in der Nacht, als du da warst – nachdem die Wärter sie allein ließen, um dem Franzosen Angst einzujagen. In den beiden folgenden Nächten rief Radu ihn zurück, bis er sich verwandelte. Vielleicht versuchte er, einen Diener zu gewinnen, der ihn befreien konnte.«
»Und warum hat er ihn nicht befreit?«
Mircea sah mich überrascht an. »Du weißt nicht, wer Louis-César war?« Ich schüttelte den Kopf, und er lächelte matt. »Ich überlasse es ihm, die Geschichte zu erzählen. Es soll genügen, wenn ich sage: Für lange Zeit konnte er sich nicht frei bewegen, und als er schließlich die Möglichkeit dazu bekam, hatte man Radu weggebracht, und seine Suche nach ihm blieb erfolglos. Wie dem auch sei: Um unseren Louis-César zu eliminieren, muss Rasputin ihm nur vor dem dritten Biss Radus den Pflock durchs Herz stoßen. Wenn er ihn tötet, solange er noch menschlich und hilflos ist, braucht er nie gegen ihn anzutreten.«
»Er könnte ihn noch viel einfacher in seiner Wiege töten, oder als Kind. Du kannst nicht sicher sein, dass Rasputin in jener Nacht zuschlagen will.«
»Wir glauben, dass dir deine Gabe zeigt, wo das Problem liegt, wo jemand versucht, die Zeitlinie zu verändern«, erwiderte Mircea mit Nachdruck. »Warum sonst bist du dorthin zurückgekehrt? Außerdem ist nur wenig über das frühe Leben von Louis-César bekannt. Rasputin kann nur sicher sein, ihn dort zu finden, wo er verwandelt wurde. Der Zeitpunkt ist bekannt, zusammen mit dem Umstand, dass Louis-César ohne Herr blieb. Ich nehme an, dass Rasputin bei einer so wichtigen Sache nicht bereit sein wird, ein Risiko einzugehen. Er wird dort zuschlagen, wo er sicher sein kann, ihn anzutreffen. Ich weiß, wo man Radu festgehalten hat, Cassie, und ich brauche nur einige Momente, um ihn zu befreien.«
»Und weißt du auch, wann genau dein Bruder wahnsinnig wurde? Eine Stadt umgibt das Schloss, Mircea. Willst du einen irren Mörder auf ihre Bewohner loslassen?«
»Ich habe mit Louis-César gesprochen«, sagte Mircea schnell. »Radu war noch ganz bei sich, als er ihn verwandelte. Du kannst mir dabei helfen, ihn zu retten,
Dulceatà.
Für andere endete die Folter schnell mit dem Tod, oder in seltenen Fällen mit der Entlassung. Aber nicht für ihn. Seine Folterer wollten ihn nicht in die Freiheit entlassen, weil sie bezweifelten, ihm Gehorsam aufzwingen zu können. Und sie töteten ihn nicht, weil er eine so gute Lektion für jene war, die sie erschrecken wollten.« Der Glanz in Mirceas Augen deutete auf etwas hin, das über Verzweiflung hinausging. »Es gibt keinen Ausweg für ihn! Du hast jenen Ort nicht gesehen. Kannst du ihn dort lassen, in dem Wissen, worin sein Schicksal bestehen wird? Ist dir deine Tugend wichtiger als sein Leben?«
Es war nicht meine Tugend, um die ich mir Sorgen machte, sondern meine Freiheit. Aber ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, darüber eine Vereinbarung treffen zu wollen. Die Konsulin würde auf jeden Fall versuchen, mich irgendwie festzuhalten. Wenn ich zur Pythia wurde, gelang es mir vielleicht, ihren Manipulationen und denen der beiden Kreise zu entgehen. Vielleicht konnte ich dann sogar meinem Vater helfen. Es waren Spekulationen, zugegeben, aber etwas Besseres hatte ich nicht. Ich holte tief Luft, stieß mich vom Fenster ab und ließ dabei den Bademantel zu Boden fallen.
Mircea beobachtete mich, und Hoffnung glomm in seinen Augen. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter, mitten ins zerzauste, seidene Haar, und strich ihm mit der anderen sanft über die Wange. »Du hast meine
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