Untot mit Biss
gehören. Ich erinnere mich vage daran, dass ich hysterisch zu werden begann, und dann setzte sich Tomas in Bewegung. Im nächsten Moment war ich wieder in seinen Armen, und wir befanden uns draußen – er lief mit mir durch eine dunkle Straße, so schnell, dass das Licht der Straßenlaternen zu einem langen silbernen Streifen wurde. Eine Sekunde später erschienen zwei dunkle Gestalten und begleiteten uns, einer auf der rechten und einer auf der linken Seite.
»Schlaf«, sagte Tomas, als die Welt an uns vorbeiraste. Ich merkte plötzlich, dass ich schrecklich müde war, und schlafen schien mir eine gute Idee zu sein. Ich hatte es warm und gemütlich, wenn auch das Bild vor meinen Augen so sehr wackelte, als käme der Himmel zu uns herab oder als flögen wir zu den Sternen empor. Ich erinnere mich, dass ich vor dem Einschlafen verträumt dachte: Wenn das der Tod sein soll, ist er eigentlich gar nicht so übel.
Drei
Ich erwachte wie gerädert und regelrecht ausgeflippt. Meine Stimmung verbesserte sich nicht, als ich merkte, dass Tomas über mich gebeugt stand – sein Gesicht war das Erste, was ich sah. »Geh weg von mir!«, krächzte ich und versuchte, mich aufzusetzen. Ich musste einige Sekunden warten, bis der Raum aufhörte, sich vor mir zu drehen, und als das der Fall war, bot sich mir ein Anblick dar, der mich nicht gerade begeisterte. Großartig. Man hatte mich ins Vorzimmer der Hölle getragen. Der kleine Raum schien aus rotem Sandstein gehauen zu sein, und das Licht darin stammte von zwei schaurig aussehenden Wandleuchtern. Sie bestanden offenbar aus miteinander verbundenen Messern, und die Fackeln in ihnen verströmten einen alles andere als angenehmen Geruch. Ich schloss daraus, dass sich viele mächtige Zauber in der Nähe befanden, die sich auf Elektrizität auswirkten. Prächtig. Der Ort wäre für eine Folterkammer perfekt gewesen, aber er enthielt nicht etwa Eiserne Jungfrauen und Daumenschrauben, sondern nur das sehr unbequeme schwarze Ledersofa, auf dem ich lag, und einen kleinen Beistelltisch mit einigen Zeitschriften. Ich bemerkte eine Ausgabe von
Orakel,
dem Äquivalent von
Newsweek
in der magischen Welt, aber wie das meiste Lesematerial in Wartezimmern war sie mehrere Monate alt. Ich hatte einmal pro Woche ein bestimmtes Cafe in Atlanta besucht, um das
Orakel
zu lesen, für den Fall, dass in meiner anderen Welt etwas geschah, das mein neues Leben betraf. Die Titelgeschichte dieser Ausgabe – es ging um die Auswirkungen billiger asiatischer Importe auf den Markt für magische Arzneien – fiel vermutlich nicht in jene Kategorie. Neben dem
Orakel
lag das Skandalblatt
Blick in die Kristallkugel.
PYTHIAS ERBIN VERMISST!, lautete die acht Zentimeter hohe Schlagzeile auf der Titelseite. AUS DEN FUGEN GERATENE ZEIT! Ich rollte mit den Augen, hörte aber sofort wieder damit auf, weil es wehtat. Früher war es um MARSIANER ENTFÜHREN HEXEN gegangen, aber das Thema gab offenbar nichts mehr her.
»Mia Stella,
der Senat hat Tomas zu deinem Leibwächter ernannt; er kann dich nicht verlassen«, ertönte eine vertraute Stimme neben der Tür. »Mach die Dinge nicht schwieriger, als sie sind.«
»Das tue ich nicht.« Nach dem, was ich hinter mir hatte, hielt ich mich für die personifizierte Vernunft. Ich rang mit Übelkeit und war so müde, dass ich nach dem Aufstehen schwankte. Meine Augen brannten, als hätte ich bereits ordentlich geheult. Die Tränen waren da und warteten darauf, vergossen zu werden, aber ich hielt sie zurück. »Ich will ihn nicht in meiner Nähe.« Ich ignorierte Tomas und einen unbekannten Burschen, der höfische Kleidung aus dem siebzehnten Jahrhundert trug, konzentrierte mich stattdessen auf den einzigen Freund im Zimmer. Ich hatte keine Ahnung, was Rafe an diesem Ort machte. Was keineswegs bedeutete, dass ich nicht froh war, ihn in der Nähe zu wissen – ich konnte alle Freunde gebrauchen, die ich hatte – aber ich fragte mich, wie er ins Bild passte. Rafe war die Kurzform von Raffael. So hieß der berühmte Künstler, der in Rom und beim Papst hohes Ansehen genossen hatte, bis er den Fehler machte, im Jahre 1520 den Auftrag eines reichen florentinischen Kaufmanns abzulehnen.
Tony hatte versucht, künstlerisch mit den Medici zu konkurrieren – sie hatten Michelangelo, also brauchte er Raffael. Rafe teilte ihm mit, dass er bereits mehr Aufträge hatte, als er erledigen konnte, und dass er außerdem Fresken für den Papst malte. Er wollte nicht den ganzen Weg bis nach Florenz
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