Untot mit Biss
entsprechende Versuche investiert worden waren. Bis zur Lösung des Rätsels konnten Menschen, die Magie nutzten, sich nur einen winzigen Teil von der Natur borgen; der größte Teil ihrer Kraft kam aus ihnen selbst. Abgesehen von den Anwendern dunkler Magie, die sich gewaltige Mengen magischer Energie beschafften, indem sie anderen das Leben stahlen oder die Kraft aus dem Jenseits bezogen. Doch dafür mussten sie einen enorm hohen Preis bezahlen.
Manche Magier waren stärker als andere, aber die meisten von ihnen mogelten, um ihre Fähigkeiten zu verbessern. Viele hatten Talismane, die natürliche Energie über lange Zeiträume wie Batterien sammelten und sie ihnen dann zur Verfügung stellten, wie zum Beispiel Billy Joes Halskette. Einige gingen Verbindungen mit anderen Magiern ein, um sich Kraft leihen zu können, wenn sie welche brauchten – man nehme nur den Silbernen Kreis. Andere verbündeten sich mit magischen Geschöpfen, die natürliche Energie besser aufnehmen konnten als sie. Ich wusste nicht, wovon Pritkin abgesehen von der eigenen Kraft Gebrauch machte, aber es schien nicht besonders gut zu klappen. Seine Schilde leuchteten etwas heller, nachdem das Symbol sie berührt hatte, doch fast sofort trübten sie sich wieder ein. Etwas saugte ihre Energie ab, und zwar schnell.
Ich sah mich um, konnte aber nirgends eine Gefahr erkennen. Der Parkplatz lag still da, wenn auch nicht friedlich: Durch die allmählich dünner werdenden Qualmwolken waren Flammen zu sehen, die aus einigen Wagen leckten. Ich sah Louis-Cesar an und kniff die Augen zusammen, bezweifelte aber, Einzelheiten von ihm zu erfahren. Zum Glück brauchte ich ihn nicht. »Billy?
Was geht hier vor?«
»Mit wem reden Sie da?« Zum ersten Mal wirkte Louis-Cesar leicht verunsichert. »Vielleicht hat sie eine Gehirnerschütterung erlitten«, wandte er sich an Tomas. »Sei vorsichtig mit ihr.«
Ich ignorierte ihn, denn Billy schwebte zu Pritkin und vollführte aufgeregte Gesten, die dem Magier, der Umgebung und der Nacht galten. »Billy! Was in aller Welt machst du da? Du brauchst wohl kaum zu befürchten, dass dich jemand hört. Heraus damit!«
»Ihr Geist kann Ihnen nicht helfen, Seherin.« Die Stimme kam aus dem Dunkeln, und ich bemerkte, dass sich den fünf Vampiren am Rand des Parkplatzes eine Gestalt hinzugesellt hatte. In der Düsternis war von dem Burschen nicht viel zu erkennen, aber der emotionale Eindruck, den ich von ihm gewann, war alles andere als nett. Vielleicht war es ganz gut so, dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. »Ich habe mich vor ihm abgeschirmt.
Niemand kann Ihnen helfen, aber das ist auch gar nicht nötig. Ihnen droht keine Gefahr, Seherin. Begleiten Sie mich, und ich garantiere, dass Ihnen nichts geschehen wird. Wir schätzen Ihre Fähigkeiten und möchten Ihnen dabei helfen, sie weiterzuentwickeln; Sie sollen sich nicht verstecken und Ihr ganzes Leben Angst haben. Kommen Sie zu mir. Dann lasse ich Ihre Freunde, wenn es Freunde sind, in Frieden gehen.«
»Mein Name lautet Cassie. Sie verwechseln mich mit jemandem.« Ich war nicht an einem Gespräch interessiert, aber Billy Joe versuchte sehr, mir etwas mitzuteilen, und ich musste ihm für sein Gestenspiel Zeit geben.
»Ich habe den angemessenen Titel für Sie benutzt, Miss Palmer, obwohl Ihr Name interessant ist. Hat Ihnen jemand von seiner Bedeutung erzählt?« Der Mann lachte. »Sagen Sie nur nicht, dass man Sie in völliger Unwissenheit hat aufwachsen lassen. Welch ein Mangel an Weitblick. Wir werden diesen Fehler nicht wiederholen.«
»Kassandra war eine Seherin in der griechischen Mythologie, die Geliebte von Apoll.« Eugenie hatte Wert darauf gelegt, dass wir uns im Unterricht auch mit den Mythen der Griechen und Römer befassten – zu ihrer Zeit schien das ein wichtiger Bestandteil für die Bildung einer jungen Dame gewesen zu sein –, und ich hatte mich nicht beklagt, weil mir jene Dinge einigermaßen interessant erschienen waren. Bisher hatte ich geglaubt, dass Cassandra ein guter Name für eine Seherin war.
»Nicht ganz, meine Liebe.« Die Stimme war volltönend und hätte vielleicht angenehm geklungen, wäre sie nicht von etwas begleitet gewesen, das mich an eine verfaulende Frucht erinnerte: überreif und mehlig. »Apoll, der Gott aller Seher, liebte die schöne Menschenfrau Kassandra, die seine Gefühle jedoch nicht erwiderte. Sie heuchelte lange genug Liebe, um die Gabe des Sehens in die Zukunft zu bekommen, und dann lief sie weg. Natürlich fand
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