Untot mit Biss
»Wahrscheinlich wird sie Ihnen nicht gefallen.« Ich schmiegte mich an die Wand aus warmer Wolle hinter mir und schlief ein.
Neun
Ich erwachte, als mir kleine Sonnenscheinfinger in die Augen gerieten. Sie kamen von einem großen Fenster über dem Bett, in das mich jemand gelegt hatte. Ich gähnte und verzog das Gesicht. Mein Mund war mehlig, und ein scheußlicher Geschmack haftete am Gaumen. Die Augen waren so verklebt, dass ich sie kaum öffnen konnte. Als ich sie schließlich aufbekam, blinzelte ich verwirrt. Es sah nicht so aus, als hätten Vampire diesen Raum eingerichtet, es sei denn, es war Louis-Césars Zimmer. Gelb dominierte, von den Stuckwänden bis hin zu Steppdecke und Kopfkissen. Nur einige verwaschene Pastellfarben im Bettvorleger und mehrere Bilder mit Indianermotiven kämpften gegen die gelbe Flut an, schienen aber zu verlieren.
Ich setzte mich auf und stellte sofort fest, dass es keine gute Idee war. Der Magen versuchte, etwas nach oben zu drücken, hatte aber keinen Erfolg, da er nichts enthielt. Ich fühlte mich so schwach wie nach einer Woche Grippe und sehnte mich nach einer Zahnbürste. Als sich der Raum nicht mehr drehte, erhob ich mich und ging auf Entdeckungsreise. Ich öffnete die Tür, sah hinaus und bemerkte zwei Dinge: Ich befand mich wieder in meinem Quartier im MAGIE-Hauptquartier, und ich hatte Gäste. Der kurze Flur vor dem Schlafzimmer führte zum Wohnbereich, in den man mich vor meinem Ausflug ins Dante’s gebracht hatte. Mehrere sehr vertraute Köpfe drehten sich zu mir um, und ich schnitt eine finstere Miene, bis ich wenige Meter entfernt den Zugang zu einem mit blauen Fliesen ausgestatteten Sanktuarium sah. Jemand – ich hoffte sehr, dass es Rafe gewesen war – hatte mich ausgezogen und mir einen Frotteebademantel übergestreift. Es gab nicht viel an ihm auszusetzen, sah man davon ab, dass er etwa drei Nummern zu groß war und mich gelegentlich stolpern ließ. Ich schaffte es ohne zu fallen ins Bad und schlug Tomas die Tür vor der Nase zu. Aus reinem Interesse überprüfte ich das Fenster. Diesmal begrüßte mich kein zorniges kleines Gesicht. Ich sah keinen Marley, sondern einen so sehr verstärkten Grenzzauber, dass ich mich nicht einmal konzentrieren musste, um das silbrige Netz zu erkennen, das den Weg nach draußen blockierte. Hinzu kam ein bewaffneter menschlicher Wächter – ein bisschen zu viel des Guten. Man hätte meinen können, dass sich etwas sehr Gefährliches hier drinnen befand, keine erschöpfte Seherin mit einem Riesenkater. Ich zog die Vorhänge zu und zuckte mit den Schultern. Eigentlich hatte ich auch gar nicht erwartet, zweimal auf diese Weise entkommen zu können.
Niemand störte mich, obwohl ich ein langes Bad nahm. Es half nicht viel. Meine Liste der Verletzungen war länger geworden, und ich fühlte mich noch immer sehr müde, obwohl ich schätzungsweise sechs Stunden geschlafen hatte. Darüber hinaus hatte ich ein Geschenk bekommen. Jemand war so freundlich gewesen, mir das Armband des Magiers fest ums Handgelenk zu legen. Der Unbekannte hatte es auch repariert: Meine Finger tasteten über einen perfekten Kreis aus kleinen silbernen Dolchen, wie die Perlen eines Rosenkranzes. Toll. Genau das, was ich brauchte: noch ein bisschen Tand. Ich versuchte, das Armband abzustreifen, aber es ließ sich nicht über die Hand schieben, und mir lag nichts an einem Versuch, es durchzubeißen. Beim letzten Mal hatte ich dabei die Zähne des Magiers benutzt; diesmal wären es meine eigenen.
Steif kletterte ich aus der Badewanne, fühlte mich wie hundert Jahre alt und starrte in den Spiegel. Ich war nie sehr eitel, aber es kam einem Schock gleich, mich so ausgemergelt zu sehen. Das Haar stand in kleinen Büscheln ab und hatte sich fast ganz aus der goldenen Spange gelöst. Ich brachte es mit den Händen so gut es ging in Ordnung, aber gegen die Blässe und die dunklen Ringe unter den Augen – damit sah ich fast wie ein professioneller Footballspieler aus – konnte ich nichts ausrichten. Ich schätzte, es ging nicht spurlos an einem vorüber, wenn man ein halbes Dutzend Mal fast umgebracht wurde.
Ich wandte mich vom Spiegel ab und suchte nach meinen Sachen. Nur die Stiefel fand ich: Sie standen hinter der Tür, gesäubert und geputzt. Da ich nicht glaubte, dass sie zu Frottee passten, ließ ich sie stehen. Ich hätte viel dafür gegeben, wenigstens frische Unterwäsche zu bekommen, doch meine Suche blieb ohne Erfolg. Schließlich zog ich wieder den
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