Untot mit Biss
niemanden verärgern, aber Hunger und Erschöpfung bescherten mir Schwindel und Benommenheit. In jenem Moment erschien es mir wirklich komisch. Pritkin hingegen schien das anders zu sehen. Mircea stand auf, als jemand an die Tür klopfte. »Ah, das Frühstück. Bestimmt beruhigen sich die Gemüter, wenn wir etwas essen.« Ein junger Mann rollte einen Wagen herein, und allein beim Duft lief mir das Wasser im Mund zusammen.
Einige Minuten später hatte ich mich halb durch ein Tablett mit Pfannkuchen, Würstchen, Kartoffelpuffern und frischem Obst gearbeitet. Das Frühstück wurde auf Silber serviert, mit Tellern aus echtem Porzellan, mit Stoffservietten und echtem Ahornsirup, was mich dem Senat gegenüber viel gnädiger stimmte. Ich schenkte mir gerade Tee nach, als ich ein verächtlich klingendes Schnaufen von Pritkin hörte. Ich fragte mich, was das Problem sein konnte. Er hatte ebenfalls einen Teller.
»Es stört Sie überhaupt nicht, oder?«, fragte er. Ich stellte fest, dass er nichts aß und mich so anstarrte wie ich die Werratten beim Kasino. Als wäre ich etwas, das ihm einerseits Rätsel aufgab, von dem er andererseits aber wusste, dass er es nicht mochte. Mein Mund war voll, und deshalb beschränkte ich mich darauf, die Brauen zu heben. Pritkin winkte. »Sehen Sie nur!« Ich spießte ein Würstchen auf und sah mich um. Die Vampire nahmen ebenfalls Nahrung zu sich, aber keine Kartoffelpuffer. Sie waren imstande, feste Dinge zu essen, wie Tony oft genug bewiesen hatte, aber sie konnten nichts damit anfangen. Nur eine Sache gab ihnen Kraft, und der widmeten sie sich hingebungsvoll. Louis-César schien bereits getrunken zu haben, oder es stimmte, was man von den Senatsmitgliedern sagte: Angeblich waren sie so mächtig, dass sie nur einmal in der Woche Nahrung brauchten. Rafe, Mircea und Tomas leisteten mir beim Frühstück Gesellschaft, das bei ihnen aus dem Lebenssaft der Satyr-Geschöpfe aus dem Dante’s bestand. Ich hatte solche Szenen in meiner Jugend so oft gesehen, dass ich sie kaum mehr zur Kenntnis nahm. Lebende Gefangene wurden immer als Nahrung verwendet. Eins der wenigen Dinge, die in Vampirkreisen als wahrhaft abscheulich galten, war die Verschwendung von Blut, selbst das von Gestaltwandlern. Blut war kostbar; Blut bedeutete Leben. Mit dem Mantra war ich groß geworden. Offenbar im Gegensatz zu Pritkin. Mich störte nur der Anblick von Tomas: Er hatte die Zähne in den Hals eines attraktiven jungen Mannes gebohrt, der mir vage vertraut erschien. Seine schokoladenbraunen Augen passten zu dem dunklen Pelz, der auf halbem Weg die Hüften hinunter begann und sein großes Geschlechtsteil umgab. Er war entkleidet und mit dicken Silberketten an Händen und Füßen gefesselt worden, eine übliche Maßnahme, denn Demütigung gehörte zur Strafe. Doch in diesem besonderen Fall war sie vermutlich nicht so wirkungsvoll wie sonst. Ich wusste nicht, was der junge Bursche von den Ketten hielt – Wer-Geschöpfe störten sich an Silber –, aber Satyrn waren am liebsten nackt. Das Tragen von Kleidung deutete ihrer Meinung nach daraufhin, dass man etwas zu verbergen hatte, dass ein Teil des Körpers nicht perfekt war. Für diesen Satyr gab es keinen Grund, sich wegen irgendetwas zu schämen, und sein Körper zeigte die normale Reaktion auf die Zähne in seinem Hals, wodurch er noch eindrucksvoller wirkte. Es musste eine unwillkürliche Reaktion sein, denn das Gesicht war so angstverzerrt, dass ich einige Sekunden brauchte, um ihn als den Kellner zu erkennen, der mich in der Satyr-Bar begrüßt hatte.
Die Szene beunruhigte mich, was nicht etwa daran lag, dass ich den Satyr kannte und er ganz offensichtlich entsetzt war. Besser für ihn, wenn er seine Lektion jetzt lernte und es in Zukunft vermied, den Senat zu verärgern, der ihm bestimmt keine dritte Chance geben würde. Ich gelangte zu dem Schluss, dass sich mein Gehirn gegen den Anblick von Tomas’ spitzen Zähnen wehrte und dagegen, dass er das Blut des Satyrs so trank, als handelte es sich dabei um seinen Lieblingswein. Offenbar fiel es mir noch immer schwer, Tomas der Kategorie »Vampir« zuzuordnen.
Trotz des Unbehagens wandte ich den Blick nicht ab. Es galt als ein Zeichen von Schwäche, bei einer Bestrafung Gefühl zu zeigen, und für unhöflich hielt man jemanden, der nicht darauf achtete, denn immerhin fand die Strafe deshalb öffentlich statt, damit man sie sah. Meine Aufmerksamkeit kehrte zu Mircea zurück. Zu beobachten, wie er seine Mahlzeit
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