Untot | Sie sind zurück und hungrig
hast verschwinden lassen. Die hätten sonst was getan, um ihn in die Finger zu kriegen.«
»Aber nein. Sie wussten doch gar nicht, dass er Stimulans und Gegenmittel im Körper hat. Woher denn auch? Sie sind ja nicht dabei gewesen. Der einzige Mensch, der das mitbekommen hat, bin ich.« Sie schüttelt den Kopf. »Nein, Smitty war nie ernstlich in Gefahr.«
Jetzt kommt’s. »Warum sind wir dann gejagt worden?« Ich drücke ihre Hand. »Die haben mich getestet im Krankenhaus, Mum. Ich weiß Bescheid. Ich weiß, dass ich anders bin. Darum wollten sie uns kriegen, oder?«
»Du hast so viel erlebt und musst jede Menge verarbeiten. Sieh zu, dass du etwas Schlaf bekommst. Ich schulde dir noch einige Antworten mehr, das ist mir klar.« Sie steht auf und erwidert meinen Händedruck, dann lässt sie los. »Aber immer hübsch langsam. Wir sehen uns in ein paar Stunden oben an Deck, dann erkläre ich dir alles.«
Sie geht.
Ach echt? Na schön, ich bin zwar wahrscheinlich so müde wie noch nie in meinem Leben und die Schwester hat mir garantiert ein Mittelchen in diesen Saft gekippt, aber wie sollte ich nach allem, was passiert ist, einfach mal eben ein paar Stunden pennen können! Ich gebe der Sache zwanzig Minuten und dann bin ich aber so was von da oben …
Ich schlafe. Aber ohne Träume diesmal. Als ich aufwache, ist es dunkel und ich habe einen trockenen Mund. Aber ich weiß, dass das hier die Wirklichkeit ist. Mir tut jeder Knochen weh.
Ich stehe auf. Jemand hat daran gedacht, mir einen sauberen Kittel und einen Bademantel hinzulegen. Einen flauschigen weißen Bademantel mit passenden Häschen-Plüschpantoffeln. Meine eigenen Sachen sind weg, bis auf meine Stiefel und meine Jacke. Ich überlege kurz und nehme statt der Pantoffeln lieber die feuchten, muffigen Stiefel. Wenn mich die letzten Wochen irgendetwas gelehrt haben, dann, dass man immer in der Lage sein sollte, wegzurennen.
Also, sie hat gesagt, dass alle oben sein werden, auf dem Hauptdeck. Ich stelle mir meine Mutter vor, wie sie an diesem riesigen Steuerrad steht, mit einer Kapitänsmütze auf, während alle anderen sich verzweifelt irgendwo festhalten. Ich öffne die Tür und trete hinaus auf den Gang. Hier gibt’s auch nicht gerade viel Licht. Und totenstill ist es. Also eher wenig los in diesem Lazarett. Meine Krankenschwester sitzt am Ende des Korridors an einem Schreibtisch, der in oranges Licht getaucht ist. Sie schaut hoch und lächelt.
»Na, etwas erholt?«
»Ähm, ja. Danke.« Ich gehe auf sie zu und versuche mich nicht an den Wänden abzustützen, damit sie sieht, dass ich schon wieder fit genug bin.
»Ist ein bisschen rau heute Nacht.« Sie lächelt. »Aber immer noch bessere Bedingungen als zurzeit an Land.«
Sie lässt es so klingen, als hätten wir ein heftiges Unwetter oder so.
»Sie sind alle oben.« Sie zeigt auf ein Hinweisschild mit einem Pfeil darauf, Hauptdeck . Ich nicke ihr zum Dank zu und folge dem Pfeil. Er führt zu einer Metalltreppe, die ich hinaufpoltere und mich dabei an dem kalten Handlauf festhalte. Wieder ein Korridor, wieder ein Pfeil und dann ein Schild an einer dunklen Holztür. Ich öffne sie.
Keine Mum, die Kapitän spielt, kein Steuerrad. Sondern ein großer Salon mit Samtsesseln und einem Teppichboden, dessen Muster Kopfschmerzen auslösen kann. Große Fenster öffnen sich zum Bug und zum Heck und nach Steuerbord und Glastüren führen nach draußen; dort sieht es ganz schön kalt und stürmisch aus. Smitty und Pete sitzen an einem echt aussehenden offenen Kamin; Alice liegt sorgsam zugedeckt auf einem Sessel und flirtet trotzdem mit Russ, was das Zeug hält. Ein bisschen Seekrankheit bringt sie anscheinend noch lange nicht aus dem Konzept. Meine Mutter und Smittys Leibwächter sowie zwei seiner Kollegen reden am anderen Ende des Raumes miteinander.
Mum sieht zu mir herüber; irgendetwas lässt mich vermuten, dass sie über mein Kommen bereits informiert wurde.
»Bobby«, ruft sie. »Geht es dir besser?« Sie eilt zu mir und drückt meinen Arm. »Komm und setz dich. Jetzt, wo alle da sind, können wir anfangen.«
Ach du meine Güte. Klingt ja fast so, als ob sie gleich verkündet, wer von uns der Mörder ist. Ich lasse mich neben Smitty auf eine senfgelbe Couch sinken.
»Danke euch allen für eure Geduld.« Sie stellt sich in die Mitte wie Braune Eule beim großen Stammestreffen. »Das hier wird nicht lange dauern und dann bekommt ihr was zu essen, versprochen. Nach dem ständigen Rennen und Flüchten
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