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Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
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nichts aus.
    Das ist nett, aber ich brauche den Wagen morgen Vormittag. Ich bin auch gar nicht müde.
    Sicher?
    Sie lächelte ihn an, ohne zu antworten. Dann beugte sie sich über den Schreibtisch und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Sekunden später war sie verschwunden.
    Grimm überholte eine Kolonne von Lastwagen. Die Trompete lieferte ein wildes, chaotisch klingendes Solo, dann spielte sich allmählich das Schlagzeug in den Vordergrund. Grimm trommelte auf dem Lenkrad den synkopischen Rhythmus mit. Karin. Was war mit ihr gewesen? Was hatte sie ihm sagen wollen? Erst jetzt stellte er sich wieder diesen Fragen, nachdem er ihnen wochenlang ausgewichen war.
    Warum hatte er die Polizei angelogen? Was hatte er selbst nicht wissen wollen?
    180 Stundenkilometer. Er hatte gar nicht gewusst, dass der Mondeo das noch hergab nach all den Jahren. Grimm nahm den Fuß vom Gas, aber der Wagen wurde nicht langsamer, eher noch schneller. Grimm stöhnte verblüfft auf. Die Motorbremse funktionierte nicht mehr. Ganz plötzlich. Wie konnte das passieren?
    Ruhig
, dachte er, während ihm der Schweiß auf die Stirn trat. 185. 190. Noch war die Überholspur frei. 195. Verdammt. Er musste etwas tun, aber er wusste nicht was. Er schaltete den CD-Player aus. Jetzt hörte er ungefiltert das wilde, panische Brummen seines überdrehten Motors. Er gehörte zu den Leuten, denen das Innenleben ihres Autos auch nach jahrzehntelanger Fahrpraxis ein Rätsel war. Was würde passieren, wenn er jetzt das Bremspedal bediente - während der Wagen fuhr, als würde jemand Vollgas geben? Bremsen und gleichzeitig Vollgas - wie verkraftete das ein Motor? Würde es eine Explosion geben. Er hatte keine Ahnung. Warum hatte er sich nur nie mit dieser Materie beschäftigt?
    Hundert Meter vor ihm scherte ein roter Golf gemächlich auf die linke Spur. Der Golf fuhr höchstens 140. Zu langsam! Grimm fluchte. Er musste es wagen.
    Grimm schaltete die Warnblinkanlage ein und bremste. Das Getriebe knirschte, der Motor heulte auf, als wollte er sich gegen die konträre Energie verteidigen. Grimm holte tief Luft, nahm den Gang heraus und bremste vorsichtig weiter ab. Der Golf vor ihm kam immer näher, der Fahrer schien nichts zu bemerken - wie sollte er auch? Grimms Wagen schlingerte, hinter ihm wurde gehupt und aufgeblendet. 160, 150, 140. Schweiß lief ihm wie Regentropfen über Stirn und Wangen, sein Hemdkragen war in Sekundenschnelle durchnässt.
    Ich will nicht sterben!
    Kurz bevor er mit dem Golf kollidierte, riss er das Steuer nach rechts. Der Wagen vollführte einen Satz, brach beinahe aus, ließ sich aber wieder bändigen. 110, 90, 70, 30, aus. Er hielt auf dem Seitenstreifen. Aus der Motorhaube drang Qualm ins Freie, Grimm legte seine Stirn aufs Lenkrad und keuchte wie nach einem Marathon. Der Verkehr dröhnte an ihm vorbei, aber in seinem Kopf herrschte Todesstille. Manche Leute, dachte er benommen, taten das jeden Tag. Sie begaben sich auf die gefährlichsten Pisten der westlichen Welt und ignorierten einfach das unwägbare Risiko, in der nächsten Sekunde als blutiges Bündel aus Fleisch und Knochen in einem Wrack zu klemmen. Es brauchte ja nur so wenig, um zu sterben und andere mit sich in den Tod zu reißen. Nur ein erodiertes Bremskabel, eine angeritzte Leitung, und alles wäre zu Ende. Bei diesen Geschwindigkeiten, wurde ihm schaudernd klar, wurden Energien entfesselt, gegen die nichts half, weder Gurt noch Airbag.
    Er hatte Glück gehabt, versuchte er sich bewusst zu machen. Er versuchte, Gott dankbar zu sein, der seine schützende Hand über ihn gehalten hatte. Aber es half nichts, die Panik saß in seinem Magen, raste in seinem Herzschlag, presste seine Lungen zusammen, dass er kaum noch Luft bekam: eine Angst, die er noch nie zuvor gehabt hatte. Es war eine metaphysische Frage. Wenn sich Katastrophen so schnell entwickeln konnten, welche Sicherheiten gab es dann noch in seinem Leben? Worauf konnte er sich in Zukunft verlassen? Welchen Trost konnte er noch spenden, nach einem Ereignis, das seine Machtlosigkeit und Verletzlichkeit so eindrucksvoll bewiesen hatte? Zorn stieg in ihm auf, der sich nicht länger unterdrücken ließ. Er hieb mit der Faust auf sein Lenkrad, in seine Augen traten Tränen.
    Wem hatte er zu Unrecht vertraut? Wer hatte ihm das angetan? Er griff nach seinem Handy und verständigte den ADAC. Und danach die Polizei.

Kapitel 5
    »Woher haben Sie Farkas gekannt?«
    »Ich hab ihn nicht gekannt. Ich hab ihn...«
    »Im Traum

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