Untreu
eigentlich auch nichts an. Wir fragen hier nicht nach der Konfession, oder ob jemand regelmäßig in die Kirche geht oder auf welche Weise er an Gott glaubt. Uns reicht es, wenn Menschen im Namen der Kirche helfen wollen. Das muss reichen, denn es gibt so wahnsinnig viel zu tun, und wir haben bei weitem nicht genügend Leute.«
»Was genau hat Karin Belolavek hier gemacht? Außer bosnischen Kindern Nachhilfe zu geben?«
»Albanischen Kindern. Aus dem Kosovo. Das war im Wesentlichen alles - und das ist ja auch schon sehr viel. Halt, Moment, jetzt fällt mir ein, dass sie manchmal auch unsere Lesungen mitorganisiert hat.«
»Lesungen?«
»Ja. Wir machen das ungefähr einmal im Monat. Ausgewählte Schriftsteller an ungewöhnlichen Orten. Manchmal sogar in der Kirche. Warum nicht? Die Akustik ist hervorragend, und ich kann da nichts Schlimmes dran finden.«
»Religiöse Schriftsteller?«
Diesmal lachte der Pfarrer frei heraus. »Bei der Hand voll, die es hier zu Lande gibt, wären wir immer wieder bei den gleichen Verdächtigen. Nein, diese Veranstaltungen dienen vor allem der Zerstreuung unserer Gemeindemitglieder, weniger der Missionierung. Da würde bald niemand mehr kommen. Es ist eher eine Frage des Honorars. Bestsellerautoren können wir nicht bezahlen.«
»Kann es sein, dass Frau Belolavek während dieser Veranstaltungen einen Mann kennen gelernt hat?«
»Natürlich ist das möglich. Andererseits kommen zu den Lesungen meistens nur Frauen.«
»Und die Autoren selber? Wäre da einer in Frage gekommen?«
»Schon möglich. Ich kann Ihnen die Namen zukommen lassen, wenn Sie mir ein, zwei Stunden Zeit geben. Welchen Zeitraum brauchen Sie?«
»Ich würde mal sagen, die letzten anderthalb Jahre. Geht das?«
»Kein Problem. Unsere Frau Peschel wird Ihnen das heraussuchen.«
»Gab es auch Männer, mit denen sie hier in der Gemeinde zusammengearbeitet hat?«
»Ja, ein paar. Wollen Sie die Adressen?«
»Ich will vor allem das Alter. Auch von den Autoren, bitte.«
Zurück im Auto klingelte ihr Handy.
»Hör mal, Mona, Lukas will heute nicht bei uns bleiben. Er will, dass du ihn gleich abholst.« Es war Lin, ihre Schwester.
»Was?« Lin hatte drei Kinder und wohnte um die Ecke von Mona. Normalerweise war Lukas gerne dort.
»Ja. Tut mir so Leid. Ich weiß nicht, was mit ihm los ist. Er will sofort nach Hause. Zu dir oder zu Anton. Ganz egal, Hauptsache weg.«
»Scheiße. Kannst du nicht noch mal mit ihm reden? Wir haben um sechs Konferenz. Ich kann das nicht mehr abblasen.«
»Mona, was denkst du, was ich die letzte halbe Stunde gemacht habe? Lukas will heim. Unbedingt. Bitte hol ihn ab.«
»Ich kann jetzt beim bestem Willen nicht. Gib ihn mir mal.«
»Vergiss es. Er will nicht ans Telefon. Er will, dass du kommst.«
»Okay. Ich versuche, Anton zu erreichen.«
»Anton.« In Lins Stimme sammelte sich geballte Verachtung.
»Ich ruf dich gleich zurück.« Mona wählte Antons Nummer, klinkte ihr Handy in die Freisprechanlage und fuhr los, mitten in den Stau des Berufsverkehrs hinein. Es dämmerte bereits, und die Straßen glänzten vor Nässe. Bei Anton meldete sich niemand. Sie versuchte es mit seiner Handynummer und erreichte nur die Mailbox.
»Hallo, Anton. Es geht um Lukas. Bitte ruf an.« Sie bremste vor einer Ampel und zögerte, ob sie sich rechts zum Dezernat oder links in Lins Richtung einordnen sollte.
Es zerreißt mich
, dachte sie plötzlich.
Dieser ganze Mist zerreißt mich
. Einen Moment lang sah sie den Pfarrer vor sich, sein gelassenes Lächeln, seine breiten Schultern, seine schönen Hände. Wäre ein Leben mit ihm weniger chaotisch? Geruhsamer, fröhlicher, stabiler? Sinnlose Frage. Sie öffnete das Handschuhfach und fischte eine halb volle Zigarettenschachtel heraus. Sie fummelte das Feuerzeug und eine Zigarette aus der Schachtel. Das Feuerzeug ging nicht an. Sie schüttelte es. Kein Saft mehr. Fluchend schleuderte sie es auf den Beifahrersitz.
Es muss sich was ändern. Irgendwas muss sich ändern.
Sie nahm das Feuerzeug wieder in die Hand und probierte es noch einmal. Plötzlich funktionierte es und produzierte eine Stichflamme, die ihr fast die Haare versengt hätte. Zwei Sekunden später rief Anton zurück und versprach ohne viele Fragen, Lukas von seinem Freund Vanicek abholen zu lassen. Vanicek. Mona nahm ein paar tiefe Züge und drückte die Zigarette anschließend wieder aus. Es war ihr nicht recht, dass Lukas schon wieder bei Anton übernachten würde, und wahrscheinlich
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