Untreu
machte eine Pause und sah Mona an. »Wussten Sie das denn nicht?«
»Nein.«
»Na ja, dann wissen Sie's jetzt. Karin hat auch Nachhilfestunden gegeben, in Mathematik und Deutsch.«
»Wie Mathematik? Sie ist doch keine Lehrerin.«
»Das Grundschulniveau hat sie schon drauf. Sie hat sich wohl auch einiges beigebracht anhand von alten Schulbüchern ihrer Tochter. Wissen Sie, die Gemeinde kann von Glück sagen, dass es Leute wie Karin gibt. Zwei Nachmittage in der Woche hat sie diesen Kindern gewidmet, manchmal sogar drei.«
»Warum gerade diese Gemeinde? Sie wohnt doch ganz woanders.«
»Das lief über mich. Wir haben uns vor zwei, drei Jahren kennen gelernt.«
»Bei welcher Gelegenheit?«
»Ein Vortrag über Globalisierung. Vielleicht war's auch die christliche Meditationsgruppe. Jedenfalls kamen wir ins Gespräch, und da habe ich wohl von meiner Gemeindearbeit erzählt.«
»Und sie war interessiert.«
»Na, allerdings. Ich kann Ihnen jetzt nicht mehr sagen, wie das genau war, aber auf jeden Fall hat sie ganz schnell gehandelt. Wir kannten uns gerade mal ein paar Wochen, und schon war sie voll eingespannt.«
»Hat sie da auch noch andere Aufgaben übernommen? Ich meine, außer Unterricht?«
»Lesungen organisieren und solche Sachen. Wenn Sie da Genaueres wissen wollen, fragen Sie am besten unseren Pfarrer Grimm. Bertold Grimm.«
»Was hat Karin so erzählt? Ich meine, von sich, von ihrem Leben, von ihrer Ehe. Hat sie mal davon gesprochen?«
Theresa Leitner seufzte und sagte nichts.
»Frau Leitner? Haben Sie meine Frage verstanden?«
Theresa Leitner stand auf, verließ wortlos die Küche und kam nach ein paar Sekunden mit einer Zigarette zurück. Schwerfällig kramte sie in einer Schublade herum und beförderte ein Feuerzeug zu Tage. »Möchten Sie auch eine?«
»Nein danke.«
»Ich deponiere sie immer im Flur. Dann werden es nicht so viel.« Sie kniff die Zigarette in den rechten Mundwinkel und zündete sie an. »Die Raucherei bringt mich noch um.« Theresa Leitner blies den Rauch aus und ließ sich langsam wieder auf ihren Stuhl nieder. »Also, was wollen Sie denn nun eigentlich genau wissen?«
Es war bereits halb eins. Der dritte Tag ohne Ergebnis. Mona spürte, wie die Ungeduld in ihr wuchs. Gut dass Fischer nicht dabei war.
»Alles«, sagte sie. »Alles, was
Sie
wissen. Alles ist wichtig. Wir haben hier so was wie eine Familientragödie. Wir müssen was von der Vorgeschichte erfahren.«
»Die Ehe.«
»Zum Beispiel.«
Theresa Leitner nahm erneut einen Zug und legte die linke Hand gedankenverloren an den rostroten Lampenschirm, als wollte sie sich an ihm wärmen. »Die Ehe«, sagte sie, »war wahrscheinlich auch nicht schlechter als andere.«
»Aber?«
»Aber... Ja, ich weiß auch nicht. Karin war nicht glücklich. Mit der ganzen Situation zu Hause nicht. Ich würde mal sagen, sie war unausgefüllt. Ihr Mann war sehr viel unterwegs wegen seiner Computersachen, ihre Tochter hatte ihre Freundinnen. Ist ja auch normal in dem Alter. Aber für eine Mutter eben nicht so leicht zu verkraften.«
»Sicher. Aber deshalb bringt man seinen Mann nicht um.«
»Wer sagt Ihnen denn, dass sie's getan hat? Sie wissen das noch gar nicht, oder?«
»Nein«, gab Mona zu. »Wir wissen nicht einmal, ob sie noch lebt.«
»Sie kann es nicht gewesen sein, das sage
ich
Ihnen. Sie ist viel zu friedliebend. So eine Tat - das hätte sie nie fertig gebracht. Sie ist der netteste, freundlichste, höflichste Mensch, den man sich vorstellen kann. Ich hätte nie mit Ihnen geredet, wenn ich gewusst hätte, dass Karin unter so einem ungeheuerlichen Verdacht steht. Nie!«
»Frau Leitner, Karin Belolavek steht im Moment nicht unter Verdacht. Ist das jetzt klar? Wir müssen sie finden, und dann sehen wir weiter. Wir werden sie aber vielleicht nie finden, wenn uns niemand hilft.«
»Also, was wollen Sie hören? Dass ihre Ehe unglücklich war? War sie nicht. Karin wollte sich nicht trennen. Sie war nicht hundertprozentig zufrieden mit der Situation...«
»Welcher Situation? Bitte!«
Die Frau schwieg ein paar Sekunden mit fest aufeinander gepressten Lippen. Als sie wieder zu sprechen anfing, war ihre Stimme leiser und tiefer. »Man steht morgens auf und macht Frühstück für seine Familie, und dann wird man allein gelassen mit den ungemachten Betten und dem Abwasch. Man trinkt noch einen Kaffee, liest noch ein bisschen Zeitung, und schon ist er halb rum, der Vormittag. Dann macht man die Betten, den Abwasch, das Bad. Man saugt
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