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Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
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wird, aber sie zwingt sich, den Mund voll hinunterzuschlucken.
    »Schmeckt's dir?«, fragt das Mädchen. Fast ist Maria enttäuscht, dass sie ihr die Antwort nicht ansieht. Sie schüttelt den Kopf, und das Mädchen lächelt, als wüsste sie es besser. Es wird immer dunkler. Der Schein der Fackeln tanzt auf ihrem Gesicht, modelliert ihre scharfen, feinen Züge. Das Mädchen sieht sie immer noch an, direkt und unverschämt. Ihre Augen sind mit schwarzem Kajal umrandet. Maria hat noch nie solche Augen gesehen. Sie sind groß und tief. Sie sind weise und still, und gleichzeitig haben sie etwas Beunruhigendes.
    »Wie heißt du?«, fragt Maria. Sie weiß, dass ihre Haare sie im Licht der Fackeln umrahmen wie ein Heiligenschein, aber ausnahmsweise denkt sie einmal nicht daran, wie sie wirkt.
    »Kai.«
    Kai nimmt sie bei der Hand, und gemeinsam gehen sie ins Haus. Im Wohnzimmer legt ein DJ House und Hiphop auf, aber es tanzen nur wenige. Trotz der ohrenbetäubenden Rhythmen stehen die meisten in der Nähe der Boxen herum und schreien sich gegenseitig ins Ohr. Kai führt sie durch dieses akustische Inferno in die Diele, die ebenfalls voller Leute ist. Dann geht es rechts herum, eine Treppe hinauf. Sie scheint sich hier gut auszukennen. Sie halten sich immer noch an den Händen. Kais Hand fühlt sich glatt und kühl an.
    »Ich würde dir gern was zeigen«, sagt Kai. Ihre leise, dunkle Stimme wird fast übertönt von dem ausgelassenen Lärm um sie herum, aber trotzdem erreicht Maria jedes Wort. Sie nickt und sieht zu ihr hoch.
    »Du hast wirklich keine Angst? Wenn du Angst hast, gehen wir woanders hin.«
    Maria versteht nicht, aber sie sagt: »Nein, ich hab überhaupt keine Angst.« Und das zumindest ist wahr.
    Sie gehen gemeinsam die Treppe hoch, lassen die Party hinter sich, mit jedem Schritt ein bisschen mehr. Oben im ersten Stock ist niemand mehr. Kai zieht Maria hinter sich her zu einer schmalen Holztür, die aussieht wie die Tür zu einer Abstellkammer. Sie öffnet sie, und Maria sieht eine weitere, diesmal sehr einfache Holztreppe, die nach oben führt. Es riecht trocken und auf undefinierbare Art muffig.
    »Der Speicher«, erklärt ihr Kai. »Oben ist noch ein Zimmer.« Sie lässt Marias Hand los, macht das Licht an und steigt, ihr voran, die Treppe hoch. Es ist mühsam, denn die Treppe ist steil. Oben stehen verstaubte Regale, mit Folie abgedeckte, ausrangierte Möbel und uralt aussehende Schrankkoffer. Der Holzboden knarzt unter ihren Füßen. Die Musik, das Geschrei der anderen sind kaum noch hörbar: Sie sind wie in einer anderen Welt. Kai öffnet vorsichtig eine weiß lackierte Tür, dreht sich um und legt den Finger auf den Mund. In der nächsten Sekunde stehen sie in einer völlig verrauchten Dachkammer. Auf dem Boden, unter einer der Schrägen, liegt eine Matratze, über die eine blaue Überdecke geworfen wurde. Am Fenster befindet sich ein kleiner Schreibtisch und davor ein Stuhl. Ansonsten ist das Zimmer unmöbliert.
    Drei Jungen und vier Mädchen, unter ihnen der Gastgeber, sitzen im Kreis auf den hellen Dielen, vor sich ein quadratisches Ding, das aussieht wie ein x-beliebiges Spielbrett. Sie gönnen Kai und Maria keinen Blick und wirken vollkommen konzentriert. Ihre Fingerspitzen ruhen auf einer schwarzen Plakette mit einem Loch in der Mitte, die sich sehr langsam und ruckartig bewegt. Maria kennt das Brett, ein Ouija-Brett, aus dem Fernsehen. Man kann mit Hilfe der Plakette angeblich mit dem Jenseits kommunizieren. Sie hat nie daran geglaubt.
    »Willst du mitmachen?«, fragt Kai sie flüsternd. Ihr Atem streift Marias Haar, ihren Hals, und Maria fühlt ein leises Schaudern. Sie hat nie daran geglaubt, aber plötzlich ist sie im Zweifel.
    »Ja«, flüstert sie zurück, ohne nachzudenken. Sie hat das Spiel immer für Kinderkram gehalten. Jetzt ist sie bereit für etwas Neues.
    Sie kniet nieder, und die Gruppe rückt wortlos enger zusammen, öffnet ihr und Kai den Kreis.
    »Leg deinen Zeigefinger auf die Plakette«, sagt Kai dicht an ihrem Ohr. »Dann fühlst du die Kraft.«
    Vorsichtig tut Maria, wie ihr geheißen. Als ihre Fingerkuppe die Plakette berührt, schießt ein Strom aus reiner Energie durch ihren Körper. Die Plakette fühlt sich schweißig-feucht an. Sie macht einen plötzlichen Ruck, sodass Marias Finger ihr kaum folgen kann. Ihre Bewegungen werden schneller und zielgerichteter. Sie fährt, scheinbar von allein, zu eingestanzten Buchstaben und Zahlen. Sie bildet auf diese Weise ein

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