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Untreu

Titel: Untreu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa v Bernuth
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haben.«
    Da schließt Maria die Augen, und sie spürt überraschend Tränen dahinter brennen.
    Warum mag ich meine Mutter nicht?
    Sie will gerade diese Frage nicht denken. Sie kommt ihr einfach so in den Sinn, ohne eigenes Zutun, und sie versucht verzweifelt, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Aber es ist schon zu spät. Die Plakette beginnt, sich um sich selbst zu drehen, immer schneller. Dann fegt sie plötzlich in rasender Geschwindigkeit über das Brett. Hin und her, hin und her, über die eingestanzten Buchstaben und Zahlen hinweg. Schließlich schießt sie über das Brett hinaus, und der Kontakt bricht ab.
    »Was hast du gefragt?«, fragt Kai. Sie wirkt nicht erschrocken, sondern eher animiert. Ihre Augen leuchten, ihr Mund ist halb geöffnet.
    »Das kann ich dir nicht sagen. Ich würde gern, aber ich kann nicht.«
    Kai zuckt die Achseln. »Willst du's noch mal probieren?«
    Maria schüttelt den Kopf. Sie hat Angst. Sie steht auf. »Ich muss hier raus.«
    »Warte!« Kai erhebt sich ebenfalls, das Brett liegt vergessen auf dem Boden. »Bitte, bitte warte auf mich.« Sie nimmt Maria in den Arm. Ihr Körper ist biegsam und fest zugleich. »Du brauchst Hilfe«, flüstert sie. »Ich kenne Leute, die dir helfen können.«

Kapitel 12
    »Du lässt natürlich erst mal mich reden«, sagte Mona zu Bauer, der ergeben nickte. Diesen Satz hatte er in den vergangenen zehn Tagen in Abwandlungen an die fünfzig Mal gehört.
Du hörst schön zu und sagst keinen Ton, klar? Du mischst dich nicht ein. Schreib einfach mit, was dir auffällt.
    Sie stiegen aus dem Auto und sahen sich um. Eine trostlose Sozialbau-Gegend mit einem trügerisch idyllischen Namen.
Hasenbergl
.
    »Hier komm ich übrigens her«, sagte Mona, betont beiläufig, wie es Bauer erschien. Er wusste nicht, was er auf dieses unerwartete Geständnis sagen sollte. Ach, das ist ja nett? Es war nicht nett hier, es war das mieseste Viertel der Stadt, schon immer gewesen.
    »Dahinten, da in der Dülferstraße, da war meine Schule«, fuhr Mona fort, und diesmal hörte sich ihre Stimme beinahe wehmütig an. Bauer, der aus einem idyllischen Dorf inmitten wunderschöner Natur stammte, in dem es nur leider keine Jobs für junge Leute gab, traute seinen Ohren kaum. In so eine solche Jugend konnte sich kein Mensch zurücksehnen. Er räusperte sich. »Wollen wir mal sehen, ob er da ist?«
    »Ja, klar.« Mona erwachte aus ihren seltsamen Reminiszenzen und sah ihn mit einem leicht verwirrten Gesichtsausdruck an, den er noch nie an ihr wahrgenommen hatte. So konnte sie also auch sein. Erstaunlich. »Ich glaube, es ist das Haus da drüben«, sagte er. »Nummer 12.«
    Gemeinsam gingen sie zu dem Haus, einem achtstöckigen, mit Eternitplatten verkleideten Schandfleck, vorbei an einem Kinderspielplatz, der aussah, als gäbe es ihn seit vielen Jahrzehnten, und zwar mit genau derselben Ausstattung: ein schmuddlig aussehender Sandkasten, eine uralte Rutschbahn und eine rostige Kletterstange, an der man sich bestimmt richtig schöne, tiefe Kratzer holen konnte, die blitzschnell zu einer Blutvergiftung führten.
    Es war kein Mensch zu sehen.
    An die sechzig, siebzig Namen standen auf dem Klingelschild an der Haustür zu Nummer 12, manche auf geklebten Zettelchen, andere vor Urzeiten in Messing geprägt, die meisten klangen türkisch oder osteuropäisch. Akribisch suchten sie eine Reihe nach der anderen ab. Bauer entdeckte als Erster den Namen Farkas, dritte Reihe von rechts, sechster Stock. Er wollte auf den Knopf drücken, da hielt ihm Mona sanft die Hand fest.
    »Wir klingeln erst vor der Wohnungstür.«
    Er nickte überrascht und nahm die Hand weg. »Und wie kommen wir jetzt rein?«
    Mona lächelte und drückte auf ein paar Klingelknöpfe in den oberen Stockwerken. »Wer is da?«, quäkte eine weibliche Stimme aus der Sprechanlage.
    »Katalog«, rief Mona.
    »Quelle is doch schon da«, raunzte die Stimme zurück.
    »Jetzt kommt Ikea. Und Neckermann.«
    Sie hörten das penetrante Summen eines elektrischen Öffners.
    »Der Milan wohnt hier schon lang nicht mehr«, sagte die Frau. Sie war um die fünfzig und so dick, dass sie die Tür fast vollständig ausfüllte. Sie trug einen grauen Jogginganzug, und wenn sie den Mund aufmachte, sah man mindestens zwei Zahnlücken. Sie gähnte herzhaft, und die Zahl der Zahnlücken erhöhte sich auf vier. »Der ist hier bloß gemeldet. Sind Sie vom Sozialamt?«
    »Nein. Was heißt gemeldet? Und wo wohnt er jetzt?«
    »Ich kann Ihnen die Adresse

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