Unvergessen wie Dein Kuss
haben wollen, allerdings nur mit dem Ziel, die Erbfolge zu sichern. Tiefer waren seine Gefühle nicht gegangen. Er hatte keine Vorstellung davon, ein Kind zu lieben und es dann zu verlieren, keine Ahnung von den Wunden, mit denen das Leben eines Menschen dadurch geschlagen wurde. Aber er hatte Einfühlungsvermögen.
Er gab Achilles die Sporen, dass das Tier in Galopp verfiel. Zwar hatte er keine Ahnung davon, wohin Isabella geritten war oder ob sie überhaupt anhalten würde, doch er wusste, er musste sie finden.
Am Ende war es nicht schwierig. Er fand sie am Rande der Klippen, auf einem feuchten Steinhaufen in den Ruinen des alten Leuchtturms. Draußen tat Aster sich am Gras gütlich. Isabella hatte nicht versucht, sich zu verstecken. Sie hatte nur Zuflucht genommen. Er hatte sie fragen wollen, wie es ihr ging, aber als er in ihr Gesicht blickte, erkannte er, dass es hier der Worte nicht bedurfte. Schweigend nahm er sie in die Arme und hielt sie fest, bis ihr Schluchzen nachgelassen hatte und sie ihren Kopf gegen seine Schulter lehnte. Dann barg sie, ohne nachzudenken oder zu zögern, ihr Gesicht an seiner Brust. Es rührte ihn in seinem Innersten an, dass sie sich ihm in ihrem Kummer anvertraute. Zart strich er ihr Haar von ihren erhitzten Wangen und spürte ihre Tränen auf seiner Haut.
“Das Kind”, sagte sie mit brüchiger Stimme, und Marcus zog sie noch näher an sich heran, so als ob er dadurch ihren Schmerz verbannen könnte.
“Es tut mir so leid”, sagte er leise. “Ich wünschte, ich könnte verstehen.”
Isabella schüttelte den Kopf und barg sich noch enger an ihn. “Ich will dich nicht verlieren, Marcus”, sagte sie. “Ich habe so viel verloren und bin so sehr verletzt worden. Ich könnte es nicht ertragen, wenn das noch einmal geschähe.”
Er drückte seine Lippen auf ihr Haar. “Das wird es nicht”, sagte er mit tröstender Stimme.
Es wurde ganz still in ihm, und er spürte, wie allmählich der Zorn, der Kummer und die Eifersucht dahinschmolzen. Und er erkannte, dass sie in allem, was wirklich von Bedeutung war, ihm gehörte – und dass sie ihm immer gehört hatte.
19. KAPITEL
E s war ein Glücksfall, dass Aster den Weg hinunter zu den Ställen kannte, denn Isabella hatte nicht gewollt, dass Marcus sie von den Klippen hinabführte. Sie wusste jetzt, warum sie normalerweise nicht weinte. Ihre Wangen waren erhitzt, und sie war sicher, dass ihr Äußeres mindestens so elend aussah, wie sie sich innerlich fühlte. Ihre schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt, als sie die Eingangshalle von Salterton Hall betraten und Pen und Alistair dort vorfanden. Mit ihrer üblichen Offenheit und ihrem erschreckenden Mangel an Taktgefühl brauchte Pen das Gesicht ihrer Schwester nur kurz anzusehen, um auszurufen: “Bella, du siehst ja furchtbar aus! Was ist denn nur geschehen?”
“Vielleicht könnten Sie mir die Bibliothek zeigen, Miss Standish”, trat Alistair dazwischen, weil er Marcus’ Blick gesehen hatte. “Wie ich gehört habe, hatte Ihre Tante eine bemerkenswerte Sammlung der Werke von Dichtern des späten siebzehnten Jahrhunderts.”
“Oh ja, die hatte sie”, antwortete Pen, “aber die Sammlung ist schrecklich. Ich kann nie mehr als nur ein paar Cantos lesen.” Dabei schaute sie über ihre Schulter zu Isabella, während Alistair sie bereits in Richtung der Bibliothekstür schob. “Ist wirklich alles in Ordnung, Bella? Ich hoffe, dass es nicht dein Mann war, der dich so aufgeregt hat. Das wäre so gefühllos von ihm.”
Isabella hörte, wie Marcus seufzte. Darin lag mehr Resignation als irgendetwas anderes.
“Es geht mir wirklich gut, Pen”, antwortete sie. “Mich hat nur etwas aufgeregt, das ist alles. Mit Marcus hat es nichts zu tun.”
Pen warf ihrem Schwager einen misstrauischen Blick zu. “Ich hoffe nicht”, sagte sie in bedeutungsschwerem Ton. “Ja, Mr Cantrell, ich komme!” Sie gab Alistairs drängenden Gesten nach und ging ihm durch die Bibliothekstür voran.
“Armer Alistair”, bemerkte Marcus. “Er verabscheut die Dichtung des späten siebzehnten Jahrhunderts.”
“Da haben er und Pen ja noch etwas gemeinsam”, sagte Isabella. Dann erblickte sie ihr Bild in dem großen Wandspiegel und erschrak. Im Haar hatte sie Zweige von Heidekraut, und an ihrem Reitanzug hafteten Blätter von Adlerfarn. Ihre Nase war, wie sie schon vermutet hatte, rot und glänzend, und ihre Augen sahen völlig verweint aus.
“Ich denke, ich gehe nach oben und ruhe mich ein
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