Unvergessen wie Dein Kuss
schien ihn gar nicht zu hören. Er schüttelte heftig den Kopf, als ob er aus einem Traum erwachte, und blickte auf das zurückgewiesene Blatt Papier auf dem Schreibtisch. “Sie wird zustimmen”, sagte er leise. “Sie hat keine andere Wahl.”
Churchward sah Marcus Stockhaven fest an. Er fragte sich, ob der Earl seine Frau überhaupt kannte. Churchwards Erfahrung war eher begrenzt, aber man benötigte nicht Lord Byrons umfassende Kenntnis der Frauen, um zu erkennen, dass Marcus einen taktischen Fehler gemacht hatte. Er hatte seine Forderungen gestellt. Seine Frau hatte sie abgelehnt. Das Spiel war noch nicht vorüber. Es hatte eigentlich gerade erst begonnen.
Isabella konnte nirgends hinrennen, sich nirgendwo verbergen, und sie hatte niemanden, der ihr helfen konnte. Aber sie würde auf keinen Fall kampflos aufgeben.
Sie saß allein in der Di Cassilis-Loge des Sadler’s Wells-Theaters. Von der Darbietung von
Figaros Hochzeit
hatte sie kaum einen Ton gehört. Die amüsante Erzählung von Liebe, Verrat und Vergebung schien heute Abend zu sehr zu passen. Außer dass es für Marcus und sie selbst die Liebe nicht mehr gab, der Verrat vollständig und die Vergebung ein bloßer Traum war.
Isabella konnte Marcus’ Gesichtsausdruck nicht vergessen, während Mr Churchward die Bedingungen bezüglich Salterton Hall vorlas. Sie hatte sich vorher gefragt, ob Marcus aus Stolz und Rache handelte; aber der Ausdruck grimmiger Befriedigung in seinem Gesicht, als er ihr das Erbe wegnahm, ließ vermuten, dass seine Beweggründe über bloße persönliche Vergeltung hinausgingen. Er zahlte ihr damit etwas heim – und dabei ging es nicht nur um den Verrat an ihm, sondern auch um etwas, was mit ihrer Cousine India zu tun hatte. Dessen war sie sicher.
Die Aussicht auf Salterton war ihre Rettung gewesen. Sie hatte alles mit Gleichmut ertragen, solange sie sich nur an den Gedanken klammern konnte, an den Ort jener glücklichen Kindheitserinnerungen zurückzukehren und ein wenig von jenem Frieden wiederzuerlangen. Dass sie überhaupt nicht daran gedacht hatte, dass alles anders werden könnte, war außerordentlich naiv von ihr gewesen. Mit ihrer Heirat fiel ihr ganzes Vermögen einschließlich Salterton ihrem Mann zu. Für sie selbst war jetzt nichts mehr übrig. Alles war Marcus’ Eigentum – und sie selbst auch.
Isabella fühlte sich krank und kalt und hatte Angst vor der Frage, wie Marcus seine Überlegenheit wohl ausspielen würde. Es gab viele Möglichkeiten, sie zu demütigen. Er hatte sie mit seinen Forderungen schon ihres Eigentums und ihrer Würde beraubt. Allerdings war sie ziemlich sicher, dass er sie nicht in das Ehebett zwingen würde. Trotz ihrer gegenseitigen Feindseligkeiten würde er keine körperliche Gewalt anwenden, um zu bekommen, was er wollte. Das beruhigte sie jedoch keineswegs. Was ihr sehr zusetzte, war die Verwirrung darüber, wie sie einerseits eine solche Abneigung gegen einen Mann haben konnte, andererseits aber eine Anziehungskraft spürte, die ihr trotz allem sagte, dass sie immer schon füreinander bestimmt waren.
Die Vorhänge an der Rückseite der Loge bewegten sich, als jemand durch die Öffnung kam und sich neben sie setzte. Die Di Cassilis-Loge hatte nicht nur einen privaten Eingang, sondern auch einen geheimen Verbindungsgang zu den Garderoben. Fürst Ernest hatte immer das Vorrecht geschätzt, seine bevorzugten Darstellerinnen unmittelbar nach der Aufführung zu begrüßen und sie dann zu einer ganz anderen Aufführung, die eigens für ihn bestimmt war, zu überreden. Heute Abend hatte Isabella die Abgeschiedenheit aus einem anderen Grund begrüßt. Sie ermöglichte es ihr, allein und unbeobachtet in das Theater zu kommen. Jetzt allerdings brauchte sie nicht einmal den Kopf zu wenden, um zu wissen, wer neben ihr saß.
“Gratuliere, Mylord”, sagte sie im diskreten Flüsterton, um sich nicht von der Aufführung abzulenken. “Ich nehme an, Sie sind hier, um Anspruch auf den einzigen Teil des Di Cassilis-Besitzes zu erheben, der Ihnen entkommen ist?”
Marcus lachte. “
Touché
, Mylady. Ich war tief beeindruckt, nachdem ich entdeckt hatte, dass Ihr verstorbener Mann seine eigene Loge in jedem Theater Londons besaß.”
“Sehen und gesehen werden”, murmelte sie.
“Natürlich.” Er streckte seine langen Beine aus und lehnte sich bequem in dem tiefen Samtsessel zurück. “Das ist genau das, warum ich heute Abend hier bin.”
“Das dachte ich mir. Ein Interesse an Mozart hätte ich
Weitere Kostenlose Bücher