Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition)
Minutenlang starrte sie die Tasche an und strich abwesend über das Medaillon an ihrem Hals.
Sie musste mehr Distanz zu Jack wahren und den Abstand zu ihm nicht noch verringern. Also sollte sie Lady Kate die Tasche geben, damit sie sie durchsuchte. Doch nicht einmal Lady Kate kannte Jacks Dinge so genau wie Olivia. Und so nahm sie die Diplomatentasche und die Kerze und zog sich in die Küche zurück, wo sie ungestört war.
Das Reich des Kochs war makellos. Jeder Topf glänzte, jede Oberfläche war sauber. Olivia stellte die Tasche auf einen zerkratzten Eichentisch und zündete eine Lampe an. Der Raum dahinter verschwand in Dunkelheit.
Mit einem tiefen Atemzug drehte sie die Tasche um. Der Inhalt fiel klappernd auf den Tisch. Sie beachtete die Gegenstände nicht, sondern durchsuchte die Tasche. Sie drehte das Innere nach außen und klopfte es ab, um sicherzugehen, dass sie kein Geheimfach übersehen hatte. Aber da war nichts. Das bedeutete, dass ihr nur Jacks Sachen blieben: eine Schnupftabakdose, eine kleine Flasche, Jacks Siegelring.
Oh …
Sie liebte diesen Ring. Jack hatte ihn ihr an den Finger gesteckt, als er ihr den Heiratsantrag gemacht hatte. Es war ein alter goldener Siegelring. Auf die Oberfläche waren das Wappen der Wyndhams mit dem wilden Vogel Greif sowie das Motto Summum Laude geätzt. Die höchste Ehre. Jack hatte immer über das Familienmotto gelacht, der Legende nach geprägt von einem halsstarrigen Kreuzfahrer. Damit war nicht die höchste Anerkennung gemeint, sondern die perfekte Tugend. Jack hatte lachend erzählt, dass Generationen von Wyndhams beschlossen hatten, dass es unmöglich war, das Motto zu erfüllen – also hatten sie sich nach Kräften bemüht, um das Gegenteil zu tun.
Natürlich hatten sie das Motto nicht vergessen. Sie waren vorbildliche Grundherren und verantwortungsbewusste Mitglieder des Parlaments gewesen. Olivia rieb über den goldenen Ring, als könnte sie so die Wahrheit über Jack heraufbeschwören. Dann legte sie den Ring bedächtig zur Seite.
Die Schnupftabakdose aus Gold und Smaragden war uninteressant. Doch der Duft von Macouba- und Spanish-Bran-Tabak – Jacks Lieblingsmischung – brachte Erinnerungen mit sich. Nachdem Olivia sie kurz untersucht hatte, legte sie sie zur Seite und widmete sich der kleinen Flasche.
Typisch. Sie konnte sich Jack genau vorstellen, wie er einen letzten Schluck Brandy nahm, ehe er in die Schlacht zog. Es war eine wunderschöne Flasche – ein flaches Viereck aus ziseliertem Silber, aber es war nicht das, womit sich Jacks Unruhe hätte erklären lassen können. Sie drehte sie in den Händen, schraubte den Verschluss auf und schnüffelte daran. Doch sie konnte nichts außer Brandy riechen.
Sie wollte die Flasche gerade zurücklegen, als sie mit dem Daumennagel an einer Kante hängen blieb. Ihr Herz schlug schneller. Sie drehte die Flasche um, um sie genauer zu betrachten, und fuhr mit dem Daumen über die Ränder.
Da. Eine fast nicht fühlbare Naht. Sie schob ihren Fingernagel in den winzigen Schlitz und bewegte ihn hin und her, bis das Gehäuse sich schließlich mit einem leisen Klicken öffnete.
Und da war ihre Antwort.
Blond. Mit Brüsten wie Granatäpfel, gut sichtbar durch den empörenden dünnen Stoff ihrer Chemisette. Die hübsche Abbildung auf dem ovalen Einsatz aus Elfenbein zeigte eine schicke, rehäugige Schönheit, die kaum mehr als ein Lächeln trug. Es erinnerte Olivia an Romneys Bilder von Emma Hamilton – ein Gesicht voller Sonne und Fröhlichkeit, ein Körper, der jeden Dichter inspirierte, Haare, die die Farbe der Sonne hatten.
Und dort, unter dem Bild, stand: Ist die erste Frucht nicht die süßeste, meine Liebe?
Das war also Mimi. Die Möglichkeit bestand, dass die Frau hier das war, was Jack gesucht hatte, und Olivia konnte nichts anderes tun, als das Bild anzustarren. Ihr war übel.
Aber um sicherzugehen, erhob sie sich und nahm die Flasche mit in Jacks Zimmer. Sergeant Harper blickte auf, als sie die Tür öffnete, doch sie hatte nicht die Ruhe, um ihm alles zu erklären. Sie streckte nur den Arm aus und legte die Flasche in Jacks suchende Hand. Und sah zu, wie er abrupt innehielt.
Er hob die Flasche an seine Brust und hielt sie dort fest. Und dann schlief er ein, als wäre er erleichtert. Olivia drehte sich um und schloss die Tür hinter sich.
Zu jeder anderen Zeit wäre Olivia begeistert gewesen von Lady Kates kleiner Abendgesellschaft. Neben der Duchess auf dem Sofa sitzend, lernte sie die
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