Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition)
habe«, sagte Lady Kate und klang ungewöhnlich zögerlich.
Olivia blickte auf. »Was?«
Lady Kate deutete mit einer ausholenden Handbewegung auf Graces Freunde. »Sie werden ganz sicher mit Grace nach Hause gehen wollen, um dem General weiterhin die letzte Ehre zu erweisen und den Tag ausklingen zu lassen. Und sobald man bemerkt, dass mein Haus für sie offen steht …«
»… wird es keinen Grund mehr geben, alle anderen abzuweisen.« Olivia schloss einen Moment lang die Augen. Wenn das Haus für Besucher offen stand, wie sollten sie Jacks Anwesenheit dann geheim halten, bis seine Treue bewiesen war? Wie sollten sie die Wahrheit über Jacks Verhalten aufdecken, ohne ihn zu verraten? Ohne sich selbst zu verraten?
Es war unvermeidlich, dass Gervaise irgendwann hierherkommen würde. Und Jack fieberte vor Ungeduld, endlich aufzustehen. Wie sollten sie die beiden voneinander fernhalten?
»Uns bleibt weniger Zeit, als wir gehofft hatten, oder?«
Kapitel 9
Sie erhielten einen Aufschub. Als sie nach Hause zurückkehrten, war Graces Vorhersage eingetreten. Jack würde so schnell nirgends hingehen. Sein Fieber stieg. Während Grace im blauen Salon die Beileidsbekundungen entgegennahm, kümmerte sich Olivia im oberen Stock um Jack, der immer reizbarer wurde. Doch nichts, was sie tat, schien eine Auswirkung auf das Fieber zu haben.
»Ich will das nicht«, versetzte er knapp. Seine Stimme klang immer schwächer, als er die Schüssel mit Haferschleim wegstieß, die Olivia ihm gebracht hatte. »Zum Teufel, ich will überhaupt nichts. «
»Das hast du schon erwähnt«, entgegnete Olivia und stellte die Schüssel zur Seite.
Er schüttelte den Kopf, als hätte er sie nicht gehört. »Ich muss aufstehen. Ich habe schon genug Zeit vergeudet. Ich muss es finden.«
Abrupt blickte Olivia auf. »Es finden?«
Er hatte das schon einmal gesagt, als er zum ersten Mal aufgewacht war.
Jack rieb sich mit den Fingern die Augen. »Ich kann es nicht verloren haben. Ich muss es suchen und finden.«
»Jack?« Sie blieb ganz ruhig. Ihr Herz hämmerte wie verrückt. »Wovon sprichst du?«
Jack riss die Augen auf. »Was?«
»Was, glaubst du, verloren zu haben?«
Er wirkte ungeduldig. »Verloren? Ich habe nichts verloren. Bis auf«, fauchte er, »meine verdammte Erinnerung. Und meine Frau scheint es nicht für nötig zu halten, mir dabei zu helfen, sie wiederzuerlangen.«
»Du hast nur einen Teil deiner Erinnerung verloren«, antwortete Olivia und fühlte sich zunehmend unsicher. Ihr Jack hätte in ihrer Gegenwart niemals so respektlos gesprochen. Er hätte niemals einen solch zutiefst zornigen Ton angeschlagen.
»Es ist an der Zeit für ein bisschen mehr Weidenrinde, denke ich«, sagte sie und wandte den Blick von dem Funkeln in seinen Augen ab.
»Es tut mir leid, Liv«, sagte er plötzlich und streckte den Arm aus, um ihr mit der Hand über die Wange zu streicheln. »Es ist nur, dass ich es, verflucht noch mal, hasse, krank zu sein. Vor allem, nachdem es mir gerade wieder besser ging.«
»Ja«, entgegnete sie, entfernte sich von ihm und ging rüber, um die Medizin zu holen. »Das habe ich mir schon gedacht.«
»Du wirst es für mich finden, oder? Du wirst sie finden?«
So ging es stundenlang weiter. Olivia sorgte sich, und Jack musste sich dem Fieber Stück für Stück geschlagen geben. In einem Moment war er klar, im nächsten war er gefangen zwischen zwei verschiedenen Welten. Und schließlich befand er sich innerlich an einem Ort, den sie nicht kannte. Grace kam vorbei, um die Wunde zu untersuchen, und teilte Olivia mit, dass dies die schlimmste Nacht werden würde. Lady Kate schlug vor, dass jemand Olivia ablösen sollte. Aber sie konnte es nicht zulassen. Sie konnte einfach nicht schlafen, wenn es Jack so schlecht ging.
Um zehn Uhr war sie seelisch und körperlich vollkommen ausgelaugt. Jack war in einen unruhigen Schlaf gefallen. Ein kühles Tuch bedeckte seine heiße Stirn. Im Zimmer war es stickig. Olivia machte das Fenster auf, um frische Luft hereinzulassen, und genoss die lauwarme Brise.
Das Fenster führte zur breiten, eleganten Rue Royale und dem Parc Royale dahinter hinaus, wo Paare unter den üppigen Bäumen und den flackernden Laternen spazieren gingen. Irgendwo läuteten Kirchenglocken zur vollen Stunde. Seit der Schlacht waren sechs Tage vergangen, und die normalen Straßengeräusche waren wieder zurückgekehrt: das Rattern der Räder von Kutschen, das Geklapper von Hufen, der Singsang der Blumenverkäufer,
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