Unvergessliches Verlangen: Roman (German Edition)
denke, er hat Jacks Privilegien als glänzende neue Spielzeuge gesehen. Geld. Talent. Macht.«
»Sie?«
Olivia zupfte nervös an ihrem Kleid. »Bitte verstehen Sie. Es ist nicht so, dass ich besonders begehrenswert wäre. Mein Aussehen ist eher durchschnittlich, und ich bin nicht sonderlich begabt. Doch ich glaube, Gervaise sah, wie verliebt Jack in mich war …« Sie zuckte mit den Schultern. »Und plötzlich war auch ich ein glänzendes neues Spielzeug.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen.
»Wollen Sie mir erzählen, dass Gervaise all den Unsinn vor fünf Jahren inszeniert hat?«, wollte Lady Kate wissen.
Olivia hätte beinahe laut aufgelacht. Nur Lady Kate würde eine Scheidung, ein Duell und einen Todesfall als »Unsinn« bezeichnen. »Gervaise war sehr überzeugend. Und Jack und ich waren so jung. Vielleicht wäre alles anders gelaufen, wenn wir mehr Zeit zusammen gehabt hätten. Vielleicht …«
Die Duchess schnaubte verächtlich. »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Jack war immer der Goldjunge. Er ist in seinem ganzen Leben nie herausgefordert worden.« Sie schüttelte den Kopf. »Es tut mir nur leid, dass er bereits an der ersten Hürde gescheitert ist.«
Olivia war beinahe amüsiert darüber, dass Lady Kate diejenige war, die Jack verteidigte. »Gervaise war wirklich sehr überzeugend.«
»Nur allzu bereitwillig unterstützt von den Wyndhams, nehme ich an?«
»Spinnen«, murmelte Lady Bea.
»Können Sie es ihnen verübeln?«, fragte Olivia. »Ich bin wohl kaum die Frau, die sie sich als nächste Marquise vorgestellt haben.«
»Ganz sicher nicht«, erwiderte Lady Kate. »Sie haben Geist, Witz und Mitgefühl.«
Olivia seufzte. »Und einen ehemaligen Mann, der möglicherweise als Hochverräter gehenkt wird. Was Gervaise sehr erfreuen würde.«
Lady Kate erhob sich. »Dann darf er es niemals erfahren.«
Olivia blinzelte. »Ist das so einfach?«
Lady Kate lächelte frech. »Natürlich ist es das. Ich glaube, ich werde es genießen, ihn zu verwirren.«
Olivia sprang wieder auf. »Das ist kein Spiel, Kate. Gervaise ist gefährlich.«
»Ach, kommen Sie, Olivia.«
In dem Moment hatte Olivia die Wahl. Sie konnte entweder ehrlich sein oder vernünftig. Sie spielte mit dem Gedanken, Lady Kate die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit, sogar die gefährlichste, die schlimmste Wahrheit.
Aber der Moment verging. Sie hatte nicht das Recht dazu.
»Wie, glauben Sie, habe ich mein Kind verloren?«, fragte sie stattdessen, denn auch das war eine Wahrheit.
Zum ersten Mal bemerkte sie ehrliches Erstaunen auf Lady Kates Gesicht. »Sie können nicht ernsthaft meinen …«
»Verstehen Sie nicht? Gervaise hat Jack davon überzeugt, dass das Kind nicht von ihm war. Doch ein Blick auf Jamie hätte die Wahrheit gezeigt, und daran konnte auch Gervaise nichts ändern.«
»Oh, Olivia …«
»Er hat ein neun Monate altes Baby vergiftet!« Olivia weinte. »Er hat uns in unserem Versteck aufgespürt und Schlafkraut in den Brei meines Babys gemischt.«
Sie konnte es an ihren Mienen ablesen. Die Beschuldigung war zu schwer, die Vorstellung zu unfassbar. Selbst Lady Bea wirkte skeptisch.
»Wie können Sie sich sicher sein?«, fragte Grace.
Olivia setzte sich wieder. Mit einem Mal fühlte sie sich unglaublich erschöpft.
»Er hat es mir gesagt. Er hat es mir mitgeteilt, als er kam, um sein Beileid auszusprechen. Seitdem bin ich auf der Flucht.«
Lady Kate betrachtete eine ganze Zeit lang die blutroten Rosen an der Gartenmauer. Unwillkürlich hielt Olivia den Atem an. Sie hatte Angst, dass ihre Freundinnen wie alle anderen auch nicht glauben würden, dass Gervaise so ein Monster sein sollte.
Aber Lady Kate massierte sich die Nasenwurzel und schüttelte den Kopf. »Also gut«, sagte sie und erhob sich. Olivia vermutete, dass sie sich in eine bestimmte Pose begeben wollte, um sich als Duchess zu fühlen und diesem Gefühl durch ihr Auftreten auch Ausdruck zu verleihen. »Ich kann Finney bitten, Kontakt zu Chambers aufzunehmen, ohne dass Gervaise es mitbekommt. Was noch?«
Olivia fühlte sich schwindelig vor Erleichterung. Es war nun an ihr, Mut zu beweisen. »Es ist Zeit, noch jemandem zu vertrauen«, sagte sie und stand auf, als ob ihr das zusätzlichen Mut verleihen würde. »Wir müssen mit Ihrem Cousin Diccan sprechen.«
Am nächsten Tag verließen sie vier ihrer Patienten. Auf rumpelnden Karren wurden die Männer, ein Lächeln auf dem Gesicht und mit Körben voller Essen, fortgebracht. Als die Verabschiedung
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