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Unverkäuflich!

Unverkäuflich!

Titel: Unverkäuflich! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bobby Dekeyser
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man andererseits auch nicht so schlecht. Ich lernte, mit Enttäuschungen umzugehen, und mit Einsamkeit. Ich lernte, mit mir selbst klarzukommen und zu merken, dass man sich selbst das wahre Regulativ ist. Ich lernte auch, wie es sich anfühlt, unten zu sein, nicht ganz unten, aber doch so weit unten, dass es einen Demut lehrt. Ich weiß, es klingt wie eine Weisheit von einem Abrisskalender, aber es stimmt: Mit dem Erfolg kommen die Schulterklopfer, die Profiteure und auch die Schleimer, die alle etwas abhaben wollen. Es tut dann gut, sich daran zu erinnern, wie es sich nach dem Rauswurf bei Royale Union Saint-Gilloise in der Kaserne anfühlte, mit einer Frage im Kopf: Wie sollte es weitergehen? Die Militärzeit war bald vorbei, ich stand ohne Verein da und mein Wutanfall in der Kabine hatte sich im überschaubaren Belgien rasch herumgesprochen. Nur ein Verein war an meinen Diensten interessiert, aber der Wechsel platzte wegen eines Formfehlers, weil irgendwelche Formulare zu spät eingereicht worden waren. Was nun? Ich hielt mich einige Tage lang mit Hobbykickern in einem Brüsseler Park fit. Die Abende verbrachte ich in meiner Garage und verzweifelte fast. Ich beschloss, meinen Kumpel Dieter Kitzmann um Rat zu fragen. Kitzmann spielte, wie ich herausfand, nicht mehr für die »Roten Teufel«, sondern für Eintracht Frankfurt in der Bundesliga.
    »Klar, Bobby, komm vorbei«, sagte er, »wir finden ein Zimmer für dich.«
    Ein ganzes Zimmer war es nicht, aber eine Hälfte seines Doppelbetts, im zweiten Stock eines Hotels am Offenbacher Autobahnkreuz. Wenn man ein Markstück einwarf, begann das Bett zu rütteln. Ich durfte bei den Frankfurtern mittrainieren, die aber bereits über ein erfülltes Kontingent von Torleuten verfügten. Um etwas Geld zu verdienen, verdingte ich mich als Trainer in einem Fitnessstudio. Ich gab mich jedenfalls als Fitnesstrainer aus, was ungefähr drei Wochen lang gut ging, bevor man mich feuerte. Der Inhalt meines Lebens passte in einen Koffer, vollgestopft mit Sportklamotten und Videokassetten, die mich während irgendwelcher Spiele zeigten. Ich wollte bereit sein, wenn sich eine Chance bot.

     
    Manchmal ist es so, dass sich für den Bruchteil einer Sekunde eine Tür öffnet, nur einen Spaltbreit, und einem klar wird, dass jetzt und genau in diesem Moment die Gelegenheit gekommen ist, einen neuen Raum zu betreten. Als mir Jean-Marie Pfaff in der Hotellobby entgegenkam, wusste ich: Das ist jetzt so ein Augenblick. Jean-Marie Pfaff war 1986 einer der besten Torhüter, ein Weltstar  – und Belgier. Er war auf dem Weg zu einem Physiotherapeuten, der im Gebäude seine Praxis hatte. Ich sprach ihn auf Flämisch an, erzählte ihm von Pelé, meiner kurzen Karriere in Diensten von Union. »Komm, wir gehen in die Tiefgarage. Ich will dir zeigen, was ich draufhabe«, sagte ich und zog ihn Richtung Fahrstuhl. Pfaff lachte irritiert. Vermutlich glaubte er, es mit einem Spinner zu tun zu haben, aber wie Belgier nun mal sind, machte er den Spaß mit. Im Parkhaus holte ich einen Fußball und ein Stück Kreide aus dem Kofferraum meiner Rostlaube und zeichnete ein Rechteck auf den Asphalt. Die Abmessungen eines Tores. »Du triffst kein einziges Mal«, rief ich Pfaff zu und rollte ihm den Ball hin. Pfaff war perplex. Die ersten Schüsse fing ich leicht. Dann machte er ernst und ich musste alles geben, um die Bälle um den imaginären Pfosten zu lenken. Dass meine Ellbogen bluteten und die Seiten meiner Jeans gelitten hatten, machte mir nichts aus. Diese Chance würde nicht wiederkommen. Mein Moment. Ball um Ball drosch Pfaff auf mein Phantomtor  – wir schwitzten nun beide. »Du musst den Winkel verkürzen, mehr Körper hinter den Ball!« Pfaff rief mir Tipps zu. Ihm schien zu gefallen, was er sah, und vielleicht erinnerte ihn mein Auftritt an seine eigene Jugend als Sohn einer dreizehnköpfigen Familie von fahrenden Teppichhändlern. »Junge, du hast Talent«, meinte er, als wir wieder in den Fahrstuhl stiegen. Ich spürte meine Ellbogen, Hände und Oberschenkel nicht mehr, aber ich war zufrieden.
    —
    Einige Wochen später. Die Lage spitzte sich nun zu, denn ich hatte keine Ahnung, wovon ich mein Hotelzimmer noch zahlen sollte. Es gab Gespräche mit einem Amateurverein aus Frankfurt, der mich verpflichten wollte, aber nichts, was mich wirklich begeisterte. Dann klingelte das Telefon. Ich war überrascht, als ich am anderen Ende der Leitung die Stimme von Jean-Marie Pfaff hörte, der gleich zur Sache

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