Unverkäuflich!
Ein solches Leben, scheinbar ohne Sorgen, wird schnell selbstverständlich. Ich war unzufrieden mit meiner Situation, trainierte noch immer viel zu viel und selbst dann, wenn ich verletzt war und Schmerzen spürte. Jeder Fehler im Training beschäftigte mich. Ich gönnte mir auch in der Sommerpause keine Pause. Ich zog in den Ferien ein Programm durch, inklusive Baumstammschleppen im Wald, endlosen Joggingrunden mit Schneeschuhen oder nicht endenden Sprungeinheiten. Ich holte die letzten Reserven aus meinem Körper, wie ein verzweifelter Barkeeper, der seine letzte Limone ausquetscht. Ich betrieb Raubbau an mir selbst, getrieben von der Angst, nicht mithalten zu können. Ich war nicht wegen meines Talents zu Bayern gekommen, sondern vor allem wegen meines eisernen Willens. Mein Selbstvertrauen hing an meiner Körperlichkeit, an meiner Kondition, an meiner Stärke. Als die Mitspieler erholt aus dem Urlaub zurückkamen, war ich schon wieder am Ende und fiel in ein tiefes Leistungsloch. Mein Körper quittierte vorübergehend den Dienst und fühlte sich taub an, wie gelähmt. Meine Bewegungen waren träge, ich fiel mit der Geschmeidigkeit einer Bahnschranke, und in den Trainingsspielen moserten die Mitspieler, wenn ich wieder einen Gegentreffer kassierte. Zweifel wurden laut, ob ich langfristig geeignet war für das Tor des FC Bayern, und ich zermürbte mich selbst.
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Privat hingegen erlebte ich das größte Glück. Wir spielten in Frankfurt gegen die Eintracht und ich begegnete in der Hotellobby jener Frau wieder, in die ich mich in der Tanzschule Zöller auf den ersten Blick verliebt hatte. Mehrere Bayern-Spieler waren auf sie aufmerksam geworden und umgarnten sie. Ich sprach sie in einem günstigen Moment an – sie konnte sich an mich erinnern! Ich bekam ihre Telefonnummer, auf einen Bierdeckel gekritzelt, den ich nicht mehr aus den Händen gab. Wenn Ann-Kathrin, so hieß die Schönheit, geahnt hätte, was nun folgte – vielleicht wäre sie vorsichtiger gewesen. Ich schickte ihr körbeweise Blumen, machte ihr Komplimente und rief sie immer wieder an.
»Was machst du im Juli?«, fragte ich.
»Wieso?«
»Ich will dich heiraten.«
Für sie riskierte ich meinen Rausschmiss bei den Bayern. Einmal flog ich ohne Einwilligung des Vereins nach Frankfurt, wo sie in einer Arztpraxis arbeitete. Wir verbrachten einen wundervollen Abend in einem italienischen Restaurant, doch am nächsten Morgen gab es ein Problem: Nebel. Vom Flughafen hob kein Jet ab und das Vormittagstraining war auf zehn Uhr angesetzt. Wir lebten im Zeitalter ohne Blackberrys oder Handys. Ich fehlte unentschuldigt. Es gab eine Standpauke von Trainer und Manager, die wegen meiner Glanzleistungen der vergangenen Wochen ohnehin wenig begeistert von mir waren. Ich tat zerknirscht, aber in Wahrheit war mir alles egal: Ich war meiner Traumfrau nähergekommen, und allein das zählte. Beim Auswärtsspiel in Homburg simulierte ich Magenkrämpfe, um sie heimlich im Hotel zu treffen. Nur Kumpel Hansi war eingeweiht und konnte nicht fassen, dass der Fitnessmönch auf Abwegen war (vermutlich hätte es niemand geglaubt). Ann-Kathrin zog zu mir nach München, in eine Art WG, in der ich mit einem anderen Fußballspieler wohnte, dem jugoslawischen Stürmer Lou, und wir verlobten uns. Alles ging im Eilzugtempo, denn uns war klar, dass wir füreinander geschaffen waren. Den ersten Hochzeitstermin mussten wir wegen eines Trainingslagers verschieben, doch im Dezember 1987 heirateten wir. Ann-Kathrin wurde von einer großen Agentur als Model gebucht, nachdem sie bei einem Wettbewerb gewonnen hatte, sie reiste nach Paris, manchmal auch nach Mailand oder Miami.
Im Dezember 1987 heiraten das Fotomodell und der Profifußballer. Zeit für ausgiebige Flitterwochen bleibt nicht.
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Im Laufe der Saison stabilisierten sich meine Leistungen wieder, was damit zusammenhängen mag, dass ich ein Gleichgewicht in mein Privatleben bekam. Wie ich hörte, sollte mein Vertrag, der zunächst auf ein Jahr begrenzt worden war, mit der Option auf eine weitere Saison verlängert werden, zu deutlich verbesserten Konditionen. Jeder andere Spieler hätte sich gefreut, bei Deutschlands erfolgreichstem Klub diese Perspektive geboten zu bekommen. Ersatztorwart bei Bayern München zu sein, ist eine Art Lebensversicherung und der Jackpot in der Lotterie. Nicht aber für mich. Ich wollte spielen, unbedingt – aber ich sah keine Chance, an Pfaff vorbeizukommen. Uli Hoeneß war überrascht, als
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