Unverkäuflich!
forderten. Das Gefühl, niemandem mehr gerecht werden zu können, der Familie nicht, Ann-Kathrin nicht, den Kindern schon gar nicht, die Freunde nicht mehr zu sehen und trotzdem Fehler in der Führung der Firma zu begehen, zermürbte mich. Drogen oder Medikamente kamen für mich nie infrage, aber ich wundere mich rückblickend manchmal, dass ich diese Phase ohne gesundheitliche Schäden oder Suchtprobleme überstanden habe. Zeitweilig lebte ich wie ein Rockstar auf permanenter Tournee, der überall auftrat, um seine Geschichte zu erzählen, vor Unternehmern in der Schweiz, vor asiatischen Besuchern in Lüneburg, am Messestand von Mailand, für die Fernsehteams, die wir durch die Firma führten. Einerseits freute ich mich, dass unsere Story so viele Menschen interessierte, andererseits wurde ich der Wiederholungen müde. Ein Problem bin ich dabei sicherlich selbst: Es geht für mich nie unter hundert Prozent. Ich muss immer alles zeigen, erklären, erzählen. Das kostet Kraft, das strengt mich an, ich will mich nicht selber langweilen, wenn ich wieder und wieder die Story erzähle; ich will die Leidenschaft vermitteln, um die es uns geht. Wenn mich ein Journalist besucht, bekomme ich als Rückmeldung oft Erstaunen. Weil ich mir Zeit nehme.
Der finanzielle Erfolg brachte andere Schattenseiten. Ann-Kathrin und ich bekamen Angst, als eines Tages die Polizei an unserer Tür klingelte. Nach der Festnahme eines Schwerkriminellen hatte man in seinem Tresor einen Zettel mit der Anschrift und der Mobilfunknummer eines unserer Kinder gefunden. Es machte uns Angst. Wir fühlten uns in Volkstorf, wo wir in den ersten Jahren die Haustür nicht verriegelt hatten und die Schlüssel in den Autos stecken ließen, unter ständiger Beobachtung. Wir sorgten uns um die Sicherheit unserer Kinder, vor allem Ann-Kathrin fürchtete sich vor einem Kidnapping. Mit wenigen Klicks im Internet konnte man unsere Anschrift herausfinden. Ein Freund erkundigte sich bei einem Polizisten nach seiner Einschätzung der Gefährdungslage und der Fachmann riet, in den nächsten Monaten vorsichtig zu sein, Alarmanlagen zu installieren und möglicherweise sogar über Personenschutz nachzudenken. Unser Kind zog aus seiner Wohnung in ein Hotel, und das gefiel uns alles gar nicht. Es hingen dunkle Wolken über der heilen Welt in der Heide. Es war Zeit für Veränderungen, auch für einen räumlichen Abstand zur Firma. Es war Zeit, sich ein wenig zu entfernen, bevor uns die Arbeit auffraß. Wohin? Auf einer Reise hatte ich ein Ehepaar aus Genf kennengelernt, das von der Schönheit der Stadt, von der Ruhe des Sees und der Nähe zum Montblanc-Massiv schwärmte. »Genf? Dieses Rentnernest? Wie langweilig!«, dachte ich, beschloss aber, dem Rat zu folgen und mir die Stadt anzusehen. Ann-Kathrin und ich flogen nach Genf, nahmen einen Mietwagen und fuhren etwas ziellos durch die Gegend, bis wir auf einer kleinen Nebenstraße, die sich die Hügel bei Hermance hinaufschlängelt, eine Bank fanden. Die Bank steht zwischen einigen Bäumen; man hat einen weiten Blick über den See, ahnt einige Häuser des Dorfs, nahe der Grenze zu Frankreich, die Berge sind nicht weit. Ein zauberhafter, friedvoller, ein besonderer Ort. Ein Platz in der Natur, gleichzeitig aber nahe dran an einer modernen, internationalen Stadt, in der die Kinder viele Sprachen lernen konnten. »Hier möchte ich leben«, sagte ich zu Ann-Kathrin. Es dauerte nicht lange, bis wir über einen Makler ein Haus am See fanden, ein einfaches, in seiner Schlichtheit elegantes Holzhaus mit Garten und einem Steg und einem eigenen Boot. Mir war sofort klar: Das war ganz nahe dran am Idealzustand. Die Frage, wie wir die teure Immobilie bezahlen konnten, beantwortete sich von selbst, als wir zurück in Deutschland waren.
Mich erreichte ein Anruf, der alles auf den Kopf stellen sollte.
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In den vergangenen Monaten hatte es diverse Anfragen von Finanzinvestoren gegeben, die sich an der ungewöhnlichen und nun außergewöhnlich erfolgreichen Firma beteiligen wollten. Ich hatte dieses Interesse freudig registriert, aber begeistern konnte ich mich dafür nicht; jetzt aber lagen die Dinge anders. Ich fühlte eine Müdigkeit in mir, ein ständig zunehmendes Gefühl, auch etwas anderes machen zu wollen. Mich beschäftigte der Gedanke, eine Stiftung ins Leben zu rufen, mit der ich Jugendlichen überall auf der Welt den Optimismus weitergeben konnte, die Begeisterung, die mich selbst antrieb. Ich fühlte mich kraftlos, ich
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