Unvermeidlich
großen Bruder.
„Ich freue mich für euch“, flüstere ich.
„Danke, Schwesterherz.“ Er drückt mich fest an sich.
„Natürlich gehe ich wieder leer aus“, scherzt Paul, der wartend die Tür aufhält.
Auch er bekommt von mir eine warme Umarmung. „Papa Paul“, wispere ich ihm ins Ohr und spüre sein Lächeln an meiner Wange.
Da mein verlängerter Aufenthalt nicht geplant war, hat Ben Anna für eine Folge ihrer Lieblingsserie Kim Possible mit nach oben genommen. Ich finde es toll, dass er eigentlich ein cooler Teenager ist, für meine Tochter aber ein butterweiches Herz hat. Das zeigt deutlich, wie liebevoll er großgezogen wurde.
„Wie geht es Alex?“, fragt Kati, als ich vom Tische abräumen zurück in die Küche komme. „Er war am Sonntag merkwürdig.“
„Er hatte wieder Stress mit Steffen.“
„Das leidige Thema.“
Das mag ich an Kati. Sie interessiert sich für mein Leben, aber nicht auf eine überneugierige, penetrante Weise. Wenn ich nicht weiter drauf eingehe, dann fragt sie auch nicht nach. Speziell bei dieser Angelegenheit weiß ich das zu schätzen.
„Es hört einfach nicht auf. Ich verstehe nicht, wie man mit Ende 20 noch so unverantwortlich sein kann. Für Anna ist das überhaupt nicht gut. Sie spürt ja immer mehr, wie sprunghaft er ist und dass er nur für sie da ist, wenn er Lust darauf hat.“
Eigentlich will ich nicht schon wieder über ihn sprechen.
„Du brauchst einen vernünftigen Kerl, Dani. Einen Mann, der auch für deine Tochter da ist. Dann wird das alles ein Stück leichter.“
„Ich weiß nicht, ob ich das noch möchte. Kerle machen eine Menge Arbeit und davon hab ich genug.“
Mit einem wissenden Grinsen nimmt sie mir das Tablett mit schmutzigen Tassen ab. „So hab ich auch mal gedacht. Doch dann kam dein Bruder und brachte gleich Paul mit.“
„Vielleicht ist es einfacher mit zwei Männern, wenn man sich nur die besten Seiten von beiden nehmen kann.“
„Das ist nicht so einfach, wie es aussieht. Ich denke, das weißt du. Wir haben unsere Probleme, die nicht unbedingt mit denen traditioneller Paare vergleichbar sind. Deswegen ist bei uns noch längst nicht immer alles gut.“
Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie sie das schafft. Männliche Aufmerksamkeit ist ja nett, kann in dieser Dosis aber auch zu viel werden.
„Darf ich dich was fragen, Kati?“
„Natürlich. Alles. Na ja, fast alles“, sagt sie mit einem Zwinkern.
„Keine Sorge, es gibt Dinge, die will ich nicht wissen. Doch was macht dich sicher, dass es funktioniert? Versteh mich nicht falsch, wir reden hier von meinem Bruder und Paul und ich kenne die beiden gut genug, um zu wissen, dass sie nichts tun, was sie nicht absolut ernst meinen. So ein Baby ist ja schon eine Entscheidung mit langfristigen Folgen.“
Nachdenklich greift Kati in die Box mit Keksen, die wir normalerweise mit auf die Untertassen zum Kaffee legen.
„Es ist recht simpel“, sagt sie zwischen zwei Bissen. „Die beiden lieben mich und behandeln mich dementsprechend. Das bedeutet auch, dass sie mich nicht als ihre Putzfrau betrachten oder denken, jetzt müssten sie sich plötzlich um nichts mehr kümmern, weil sie ja eine Frau an ihrer Seite haben. Sie würden nie ein gehässiges Wort über mich verlieren, und das ist eine Frage des Respekts. Man sieht viele Paare, die schon nach kurzer Zeit kein nettes Wort mehr füreinander übrig haben und Männer, die in einer Weise über ihre Frauen reden, wie sie es noch nicht mal über ihren besten Kumpel tun würden. Wobei Frauen da oft nicht besser sind. Ich weiß einfach, dass sie mich nie alleine lassen, sowohl bei der zusätzlichen Arbeit, die das Baby mit sich bringt, als auch bei emotionalem Stress. Sie ziehen nicht den Schwanz ein, wenn es schwierig wird. Solche Männer sind heutzutage rar geworden. Und ich hab gleich zwei davon!“ Grinsend nimmt sie sich den nächsten Keks und verzieht sich mit dem schmutzigen Geschirr in die Küche, damit ich den Kunden bedienen kann, der gerade durch die Tür kommt.
Es ist zum Heulen. Wir verlangen doch keine unmenschlichen Dinge von Männern, außer dass sie sich wie eigenverantwortliche, verlässliche Erwachsene benehmen. Nur hat Kati leider recht, diese Exemplare werden offenbar immer seltener.
Als ich am Abend meine Wohnungstür aufschließe, wartet meine Mutter mit einer Tasse Tee auf mich.
„Anna ist schon im Bett“, sagt sie leise, während ich mir die Schuhe abstreife und meine Handtasche auf die Garderobe
Weitere Kostenlose Bücher