Unvermeidlich
Bedürfnis, mich einfach nur heulend ins Bett zu legen und darauf zu hoffen, dass die Nacht lang genug wird, um mich bis zum nächsten Morgen zu fangen. Ich bin ein positiver Mensch und ich denke, das verkaufe ich auch ganz gut, doch in den letzten Wochen schwindet mir immer mehr die Energie. Das liegt nicht daran, dass meine Tochter anstrengender als andere Kinder ist. Ich gebe es nur ungerne zu, aber mir fehlt einfach die eine Person, an die ich mich anlehnen kann.
Ich habe Hilfe in meiner Familie und meinen Freundinnen. Und Alex. Das ändert aber nicht, dass ich mich einsam fühle.
Nicole textet mir, weil sie gerne auf ein Glas Wein vorbeikommen würde, doch heute kann ich mich noch nicht mal dazu überwinden, ihr zu antworten. Morgen wieder. Jetzt möchte ich einfach nur etwas Mitleid mit mir selber haben.
Nach einer kurzen Dusche schleiche ich mich, nur in T-Shirt und Slip, in Annas Zimmer und setze mich im Schneidersitz vor ihr Bett. Die Bettdecke hat sie sich von den Beinen gestrampelt, aber ich decke sie nicht wieder zu, denn der Raum ist von der Wärme des Tages noch stark aufgeheizt. Ihre gleichmäßigen Atemzüge hatten immer schon etwas Beruhigendes für mich. Im Schlaf ist sie völlig entspannt und sieht dadurch wie das Baby aus, das sie mal war.
Nach stressigen Tagen brauche ich diese Momente, um mich daran zu erinnern, dass sie alles ist und es mir gut geht, solange sie bei mir ist.
5.
Anna blüht auf, sobald Alex in der Nähe ist. Er versteht es, sie einerseits Kind sein zu lassen und sie anderseits ernst zu nehmen. Wenn er bei uns ist, bin ich abgeschrieben. Er ist ein Vaterersatz für sie, da mache ich mir nichts vor.
Gespannt beobachte ich vom Ufer des Sees, wie er versucht, sie zu einem Sprung zu überreden. Er steht hüfttief im Wasser und will sie vom Steg in seine Arme locken.
„Komm schon, Kurze. Du schaffst das. Im Schwimmbad geht es ja auch.“
„Ja, aber da sehe ich den Boden.“
„Du siehst doch, wie hoch das Wasser ist, wo ich stehe. Außerdem kannst du mir vertrauen, ich fang dich auf.“
Selbst auf ein paar Meter Entfernung sehe ich, wie sie einen tiefen Atemzug nimmt, um ihre Angst zu bekämpfen, und dann einen mutigen Sprung direkt in Alex‘ Arme macht. Ihre Füße haben kaum die Wasseroberfläche berührt, da hat er sie schon geschnappt. Vergnügt quietschend lässt sie sich von ihm ins Wasser ziehen und macht sich ein Spiel daraus, ihn nass zu spritzen.
Für eine Weile beobachte ich die beiden, bevor ich mich wieder auf unsere Decke zurückziehe. Nachdem ich mir eine frische Schicht Sonnencreme aufgetragen habe, fische ich meinen E-Reader aus der Tasche, um ein wenig zu lesen.
Ich liege auf dem Bauch und bemerke Alex deswegen erst, als er sich neben mich schmeißt. Ein paar Wassertropfen landen auf meiner aufgeheizten Haut.
Ganz automatisch will ich mich umdrehen, um zu schauen, wo Anna bleibt, aber Alex hält mich an der Schulter fest.
„Ich passe auf“, versichert er mir. „Sie hat ein anderes Mädchen zum Spielen gefunden.“
Er liegt auf dem Rücken und stützt sich auf die Ellenbogen auf, um aufs Wasser sehen zu können, doch ich spüre immer wieder seinen Blick auf mir.
„Was ist?“, frage ich und lege meinen Reader beiseite.
„Nichts.“ Lächelnd zieht er sich die Sonnenbrille auf. Das Grinsen in seinem Gesicht wird breiter.
„Sag schon!“, fordere ich. „Sonst fühle ich mich ausgelacht.“
„Dein Tattoo. Ich kann nicht glauben, dass du dir nur wegen einer verlorenen Wette einen Cupcake auf die Schulter hast tätowieren lassen.“
In einem Anfall von großer Klappe habe ich zu Kati gesagt, dass ich auch für ein paar Tage ihren Job in der Backstube übernehmen kann. Es war etwas Prosecco im Spiel und sie hätte nicht auf die Durchführung der Wette bestanden, doch ich halte meine Versprechen. Wie man sieht, habe ich kläglich versagt und bin beinahe in einem Mehlnebel untergegangen.
„Das ist ein außerordentlich hübscher Cupcake, lieber Alex. Mit einer Kirsche oben drauf.“
„Das sehe ich.“ Wieder schlägt er diesen flirtenden Ton an. Auch wenn er jetzt eine Sonnenbrille trägt, spüre ich seinen Blick auf mir. „Ein hübscher Cupcake auf einer hübschen Schulter.“
Träge lege ich mich auf die Seite und stütze meinen Kopf auf der Handfläche ab.
„Du solltest damit aufhören. Sonst denkt nachher noch jemand, du willst mich anbaggern.“
Er grinst nur und schaut weiter aufs
Weitere Kostenlose Bücher