Unvermeidlich
Wasser.
„Ich muss dich was fragen“, sagt er nach einer Weile.
„Was denn?“
Er zieht die Sonnenbrille hoch, um mich richtig anschauen zu können.
„Hast du nächstes Wochenende Zeit? Könnten deine Eltern Anna nehmen?“
„Ist das eine Fangfrage?“
„Irgendwie schon …“
„Rück raus damit, was willst du von mir?“
Seufzend sieht er zu mir. „Nächsten Samstag muss ich zum Tierärztetag nach Dortmund. Den ganzen Tag Vorträge. Abschließend findet allerdings noch eine Abendveranstaltung statt, zu der man einen Gast mitbringen kann. Das Ganze ist schrecklich langweilig und du hast bestimmt keine Lust dazu. Aber mit dir zusammen wäre es nur halb so öde.“
Ich bemühe mich, nicht auf seinen halbnackten Körper zu starren, doch die im Sonnenlicht explodierenden Sommersprossen auf seiner Schulter sind schwer zu ignorieren. Nur eine der vielen Stellen, die ich mit meinem Mund und meinen Händen erkunden möchte. Auch die feine Spur blonder Haare, die sich von seinem Bauchnabel bis unter den Bund seiner grauen Badeshorts zieht …
„Du musst nicht, wenn du nicht willst. Es ist bloß ein Vorschlag.“
Erschrocken sehe ich ihm in die Augen, da ich vergessen habe, zu antworten. Jetzt habe ich tatsächlich gestarrt und ich bin mir ziemlich sicher, dass es ihm nicht verborgen geblieben ist.
„An dem Samstag hab ich die Frühschicht.“
„Das ist ja kein Problem. Tagsüber habe ich ohnehin keine Zeit. Nur abends würde ich dich gerne ein wenig rumzeigen.“
Ich gehe nicht darauf ein, dass es so klingt, als wäre ich seine Freundin.
„Soll ich mit dem Zug nach Dortmund kommen, damit wir später zusammen nach Hause fahren können?“
Sofort wird sein Gesicht von einem strahlenden Lachen erhellt. „Du würdest mich wirklich begleiten? Dann ist es ein Date.“
Und eine ganz, ganz üble Idee. Aber ich kann einfach nicht widerstehen.
Völlig erschöpft von einem heißen Tag und ausgiebigem Toben im Wasser, ist Anna an mich gelehnt auf der Rücksitzbank eingeschlafen. Wir konnten sie gerade noch dazu bewegen, mit uns in der Pizzeria zu essen, doch auch da war sie schon komplett erledigt.
Alex beobachtet mich durch den Rückspiegel und lächelt mir wiederholt zu, während er uns nach Hause fährt.
An diesem Punkt kann ich nicht sagen, ob er vorher schon so mit mir umgegangen ist, oder ob ich durch unseren Beinahe-Kuss sensibilisiert bin. Ich muss meine Gefühle für ihn in den Griff kriegen, sonst wird mein Leben nur noch anstrengender. Mehr Stress für Anna und mich brauche ich wahrlich nicht. Ich werde ihn nächsten Samstag begleiten, aber nur als das, was ich immer schon für ihn war: So etwas wie eine kleine Schwester.
Zu Hause angekommen parkt er und geht um den Wagen herum, um die Tür auf Annas Seite zu öffnen. Vorsichtig befreie ich sie aus dem Gurt und helfe Alex, der sie vom Sitz pflückt.
„Geh vor und schließ auf. Ich trage sie ins Bett“, flüstert er und stößt mit der Hüfte die Autotür zu.
In Annas Zimmer ziehe ich die Vorhänge zu, während Alex meine Tochter auf ihrem Bett platziert. Behutsam zieht er ihr die Sandalen von den Füßen. Anna grummelt vor sich hin und greift instinktiv nach ihrem Stoffhasen, den sie an ihre Brust drückt, ohne auch nur ein Auge zu öffnen.
„Sie ist erledigt.“ Liebevoll streicht er ihr die Haare aus der Stirn und dreht sich dann zu mir um. „Kann ich noch bleiben?“, fragt er leise. „Nur kurz?“
Früher hat er nie gefragt, irgendwie hat es sich immer ergeben.
Nachdem ich Anna ihrer Hose entledigt und sie zugedeckt habe, folge ich Alex ins Wohnzimmer. Der geht rastlos vor dem Fernseher auf und ab.
„Kaffee?“, frage ich.
„Nein, lieber nicht. Zu spät dafür.“
„Für Kaffee ist es nie zu spät. Wenn du etwas Kaltes möchtest, dann komm mit“, sage ich und nicke Richtung Küche.
Ich höre seine Schritte nicht, aber ich spüre seine Wärme an meinem Rücken. Er sagt kein Wort, während ich den Wasserbehälter der Kaffeemaschine auffülle, doch wenn mich meine Sinne nicht völlig täuschen, ist er nur Millimeter von mir entfernt. Sein Atem streift meine Schulter. In dem dünnen Trägershirt, das ich mir nach dem Schwimmen übergezogen habe, fühle ich mich auf erregende Weise nackt.
„Ela“, wispert er und bestätigt damit, dass er direkt hinter mir steht.
Die Kanne in meiner Hand läuft inzwischen über, also stelle ich sie ins Spülbecken und schalte das Wasser ab. Doch ich wage es nicht, mich
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