Unvermeidlich
zurück nach Breskens. Anna ist so stolz auf ihre neuen Flip Flops, besonders deswegen, weil ich mir die gleichen in meiner Größe gekauft habe. Wir sitzen nebeneinander in der Abendsonne an Deck und bewundern, wie die feinen Strass-Steinchen auf den dünnen Riemchen um die Wette glitzern.
„Du hast ganz schön kurze, dicke Zehen, Mama.“ Na toll. Wenn das meinem Kind schon auffällt, rede ich es mir nicht bloß ein.
„Ja, leider. Aber du nicht. Deine Zehen sind jetzt schon fast länger als meine.“
„Ich hab Omas Füße“, sagt sie zufrieden und wackelt mit ihren zierlichen Zehen. Gott sei Dank. Je mehr sie aus dem Genpool meiner Familie hat, desto besser.
Zurück im Ferienhaus wandert Anna freiwillig ins Bad und von da aus direkt ins Bett. Wir haben unterwegs noch zu Abend gegessen, wo sie mir beinahe am Tisch schon eingeschlafen wäre. Es ist zwar noch nicht sehr spät, aber sie ist völlig erledigt. Auch ich bin erschöpft und verschwinde nach einer Dusche und einem halben Glas Rotwein im Bett.
Am nächsten Morgen wache ich völlig gerädert auf. Der Wecker auf dem Nachttisch zeigt gerade einmal 6 Uhr. Wesentlich zu früh für einen Urlaubstag. Anna wird frühestens in 2 Stunden aufstehen. Das hat man davon, wenn man früh ins Bett geht. Noch gemeiner ist es, wenn man sich einbildet, Geräusche im Haus zu hören und dabei aus einem wunderschönen Sextraum gerissen wird. Scheiß Paranoia.
Trotzdem muss ich nachschauen. Auf Zehenspitzen schleiche ich in Annas Zimmer und sehe sie friedlich im Bett liegen. Ihr schmaler Arm hängt mit der Bettdecke an der Seite herunter. Mit leicht geöffnetem Mund liegt sie auf dem Bauch und schnarcht leise vor sich hin.
Beruhigt, dass bei ihr alles in Ordnung ist, verschwinde ich kurz ins Bad und schlüpfe dort gleich in die Jeansshorts und das T-Shirt von gestern. Auf nackten Füßen wandere ich die Treppe runter, wo mir der Duft von frischem Kaffee entgegenschlägt. Hätte dieses Indiz die Situation nicht entschärft, hätte ich vermutlich laut losgebrüllt, weil ein Mann im Sessel vor dem Kamin sitzt.
„Papa?“
Mein Vater sieht erschrocken auf, weil er mich nicht herunterkommen gehört hat. Also habe ich mir das Geräusch doch nicht eingebildet.
„Was machst du hier?“, frage ich leise, damit Anna nicht aufwacht.
„Nimm dir einen Kaffee und setz dich zu mir.“ Er klopft auf den Fußhocker vor sich und lächelt mir zu.
„Wo ist Mama?“
„Zu Hause.“
„Ich dachte, sie wollte in den Wellness-Urlaub?“ Mit einem vollen Becher setze ich mich ihm gegenüber.
„Nicht nach der Aktion, die Steffen abgezogen hat. Sie haben es verschoben. Genau genommen, hat sie mich geschickt.“
„Und woher weißt du, dass ich hier bin?“
„Jakob natürlich. Wie sollte ich sonst auch hier reingekommen sein? Außerdem habe ich dir gesagt, dass ich mit dir reden will. Wenn du nicht zu mir kommst, dann komme ich eben zu dir.“
„Dafür hättest du aber nicht 300 Kilometer fahren müssen.“ Lachend lege ich meine Hand auf seine.
„Für meine Kinder tue ich alles. Du weißt doch selbst, wie das ist.“
„Worauf willst du hinaus?“ Ich ziehe die Beine unter meinen Po und halte mich an meinem Kaffeebecher fest. Mein Vater hat die Terrassentür geöffnet und die von der See hereindrängende Brise ist noch sehr kühl.
„Du weißt, dass ich nicht Jakobs leiblicher Vater bin.“
„Natürlich.“ Es war nie ein Geheimnis, aber all das ist schon so lange her, dass es bei uns in der Familie kaum noch thematisiert wird.
„Du weißt auch, dass Jakobs Vater gestorben ist, als er gerade mal 2 Jahre alt war.“
„Ja, das weiß ich alles. Warum erzählst du mir das?“ Verständnislos sehe ich ihn an.
„Ich sehe viel von deiner Mutter in dir.“ Verstohlen wischt er sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Jetzt werde mir nicht sentimental, Papa. Ich habe mich gerade erst von dem ganzen Drama beruhigt.“ Doch ich kann nicht verhindern, dass auch mir die Tränen in die Augen steigen. Mein Vater ist kein Mann, der weint.
„Weißt du, warum du erst 10 Jahre nach Jakob zur Welt gekommen bist?“
„Ich gehe mal davon aus, dass du erst später mit Mama zusammengekommen bist. Ehrlich gesagt habe ich da nie drüber nachgedacht.“
„Das ist natürlich der Hauptgrund. Aber die Ursache ist eine ganz andere. Was du vermutlich nicht weißt, ist, dass Jakobs Vater mein bester Freund war. Ich habe sogar neben ihm am Altar gestanden, als er deine Mutter geheiratet
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