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Unwiderstehliches Verlangen

Titel: Unwiderstehliches Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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Cockpit. Dort bewahrte sie fast immer eine kleine Metallschachtel mit Kosmetikartikeln auf, eine alte Angewohnheit aus der Zeit, als sie bei der Landung häufig der Presse gegenübertreten mußte. Wenn sie jetzt den Einwohnern von Chandler gegenübertrat, sollte ihr Gesicht keine Tränenspuren mehr aufweisen.
    Sie fand die Schachtel und kramte darin nach dem Lippenstift. Plötzlich fiel ihr Blick auf einen weißen Briefumschlag, der unter drei Landkarten und dem Kompaß fast begraben lag. Einen Augenblick setzte ihr Herzschlag aus, denn sie wußte sehr gut, was in dem Umschlag war.
    Langsam zog sie ihn hervor und machte ihn auf. Sie hatte die Einladung zur Teilnahme am Taggie-Wettflug am Tag von Charleys Beerdigung erhalten, und dieser Brief hatte ihr Leben umgekrempelt. Drei Tage zuvor war sie morgens aufgewacht, nicht weil Charley wie üblich entsetzlich schnarchte, sondern weil er unnatürlich still war. Er war tot. Er hatte im Schlaf einen schweren Herzanfall erlitten und war still und friedlich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen verschieden.
    Noch Tage danach war Jackie keines klaren Gedankens fähig gewesen. Als seine Freunde und Bekannten sich versammelten, um Abschied von ihm zu nehmen, glaubten alle, Jackie würde ihr bisheriges Leben weiterführen. Man nahm ausnahmslos an, sie würde wieder fliegen. Noch höher, weiter und schneller als bisher.
    Erst am Tag der Beerdigung hatte Jackie geistesabwesend den Brief aufgemacht und die Einladung zum Taggie darin gefunden, der in ihrer Heimatstadt gestartet werden sollte. Beigefügt war ein Brief von Jace Montgomery. In diesem Moment wurde ihr klar, daß sie das alles satt hatte. Sie wollte nicht mehr ständig von einem Ort zum anderen reisen und nirgends Zeit haben, um Wurzeln zu schlagen. Sie hatte es satt, ihren Namen in der Zeitung zu lesen, von Reportern fotografiert zu werden und immer wieder die gleichen dummen Fragen beantworten zu müssen. Sie verlangte nach einem Heim. Sie wollte endlich das haben, was alle Menschen hatten.
    Ohne viel zu überlegen, hatte sie an Mr. Montgomery geschrieben, daß sie nach Chandler heimkommen und dort eine Luftfrachtfirma gründen, aber nicht für den Wettflug melden wollte. Weder ihm noch irgendeinem anderen vertraute sie den wahren Grund an. Sie hatte keine Angst, den Wettbewerb zu verlieren, sie fürchtete sich vielmehr davor, wieder einmal zu gewinnen.
    Jetzt trat sie mit der schmutzig gewordenen, an den Seiten eingerissenen Einladung in der Hand an den Rand des Abgrunds, schaute in die tiefe Schlucht hinab und dachte: Besteht nicht das ganze Leben aus Einladungen? Erhielt nicht jeder Mensch immer wieder neue Einladungen? Einladungen der verschiedensten Art. Zu großen oder kleinen Anlässen. Manche voll großer Hoffnungen, manche bedeutungslos. Pompöse und bescheidene Einladungen. Es kam allein darauf an, welche dieser vielen Einladungen man annahm. Die meisten Menschen nahmen nur die üblichen Einladungen an und verwarfen dafür solche, die ungewöhnlich waren oder Risiken in sich bargen.
    Nun, vor Risiken hatte Jackie sich nie gescheut. Wie William sagte, hatte sie immer das getan, wozu sie Lust hatte. Angenommen hatte sie die Einladung ihrer Mutter, die ihr gestattete, sich anders als andere, nach dem ewig gleichen Muster gestanzte Kinder zu verhalten. Angenommen hatte sie die Einladung Charleys, an seiner Seite ein Leben voller aufregender Abenteuer zu führen. Und so hatte sie es immer gehalten. Einladungen nahm sie an oder verwarf sie nach eigenem Gutdünken, ohne Zögern, instinktiv auswählend, was für sie und niemanden anders gut war.
    Doch jetzt erhielt sie von William eine Einladung, wahrscheinlich die beste ihres ganzen Lebens — und sie zögerte, sie anzunehmen. Warum tat sie das? Weil William jünger war als sie? Oder gab es noch einen anderen Grund?
    Wies sie William zurück, weil sie sich fürchtete? Hatte sie, wie Nellie meinte, Angst vor dem Gerede anderer Leute? Oder scheute sie davor zurück, weil sie ihn so sehr liebte? Wenn sie ihn schon jetzt so liebte, wie würde sie ihn erst lieben, wenn sie ein gemeinsames Kind in den Armen hielt? Wie würde sie ihn nach Jahren des Zusammenseins lieben, wenn sie jeden seiner Gedanken bis ins kleinste kannte? Was würde sein, wenn er dann wie Charley starb?
    Als Charley tot war, hatte sie nur deshalb die Kraft zum Weiterleben gefunden, weil sie sich immer ihre Unabhängigkeit bewahrt hatte. Sie lebte mit ihm zusammen, sorgte aber für ihren eigenen

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