Unwiderstehliches Verlangen
heraus. »Aus vielen Gründen. Zum einen verdient er eine bessere Frau, zum anderen ist es meine Eitelkeit. Ich möchte all diesen Klatsch und Tratsch nicht hören.«
Nellie lachte. »Sie haben allerdings eine Menge Gerede hervorgerufen. Mein armer Mann kann nicht mehr die Straße entlanggehen, ohne daß ihn jemand anhält und ihm das neueste Gerücht über die beiden unverheirateten Personen in einem Bett erzählt. Sie haben ganz Chandler in Empörung versetzt. Bestimmt sind Sie das erste Paar in dieser Stadt, das sich so etwas erlaubt hat.«
Vor Verlegenheit wurde Jackie rot und schaute zu Boden.
»Wissen Sie, was jetzt erzählt wird? Daß Sie wahrscheinlich schon als Kinder etwas miteinander gehabt haben.«
Jackie zuckte zusammen. »Was?«
»Ja. Mrs. Beasley sagt, das Verhältnis zwischen Ihnen und meinem Sohn sei noch nie normal gewesen.«
Jackie hatte eine rasche Entgegnung auf der Zunge, mußte aber erst einmal lachen. »Aber er war doch noch ein Kind! Und ich fand ihn furchtbar lästig. Eine wahre Landplage. Ich habe alles versucht, um ihn loszuwerden. Wenn das nicht normal ist, dann weiß ich nicht, was normal sein soll.«
»Haben Sie wirklich versucht, ihn loszuwerden? Ich kann mich nur erinnern, daß ihr beide unzertrennlich wart. Sie haben zwar immer zu William gesagt, daß er Sie in Ruhe lassen soll. Aber sobald er zu Hause geblieben ist, haben Sie ihn abgeholt.«
»Das habe ich nicht getan«, sagte Jackie aufgebracht.
»Und als er damals Grippe hatte? Da sind Sie täglich >vorbeigekommen<.«
»Ich habe mir Sorgen um Ihre ganze Familie gemacht.«
»William war bei uns als einziger krank.«
Jackie ergriff einen Stock und zog Kreise auf der Erde. »Er war aber nur ein Kind. Ist es immer gewesen.«
»Damals waren Sie aber ganz anderer Ansicht. Sonst hätten Sie ihn nicht so oft um Rat gefragt. Sie waren zwar immer abenteuerlustig, aber bevor Sie etwas unternahmen, pflegten Sie William zu fragen, ob er das Unternehmen für richtig halte.«
»Das habe ich nie getan«, sagte Jackie im Ton eines bockigen Schulmädchens.
Nellie ließ sich mit der Antwort Zeit. »Haben Sie gewußt, daß William, als Sie aus Chandler weggingen, einen vollen Monat lang kein Wort gesprochen hat? Er wollte nicht sprechen und hat kaum noch gegessen. Ich konnte ihn abends nur zum Schlafen überreden, indem ich ihn in den Armen gewiegt habe. Und da war er schon zehn Jahre alt und ein ziemlich großer Junge. Ich befürchtete schon, er hätte keinen Lebenswillen mehr.«
»Und ich habe damals nie an ihn gedacht.« Jackie fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Und jetzt kann ich nur noch an ihn denken. Ich weiß nicht, was ich tun soll. William will, daß ich seine Frau werde. Aber uns trennen diese... Unterschiede. Die Leute...«
»Die verfluchten Leute!« sagte Nellie.
Noch nie hatte ein Ausruf Jackie so überrascht wie dieser. Nelli Montgomery war die ruhigste, sanfteste, freundlichste Frau der Welt. Es gab nichts, was sie jemals aus der Haut hatte fahren lassen — ob nun alle ihre zwölf Kinder auf ihr herumgekrabbelt waren oder drei von ihnen zur selben Zeit mit blutigen Köpfen heimkamen. Nellie war ein Mensch, den man sich in großer Gefahr an seiner Seite wünschte. Sie würde selbst im Kugelhagel Ruhe bewahren.
Und jetzt fluchte sie unbeherrscht!
Nellies Gesicht hatte auch nicht mehr den sanften, weichen Zug, den man sonst immer an ihr sah. Sie war ausgesprochen wütend.
»Jackie, werden Sie endlich erwachsen!«
Jackie fuhr hoch und riß die Augen weit auf.
»Glauben Sie denn, alle anderen Menschen hätten ein leichtes Leben und müßten sich nie mit Problemen herumschlagen? Sie können doch noch von Glück reden.«
»Glück?« flüsterte Jackie. Wieso sollte sie nach einem Leben ständiger Kämpfe und dauernder Geldnöte von Glück reden?
»Oh, ich weiß genau, was Sie denken. Daß ich eine Montgomery bin und daher nichts als Luxus und Wohlleben kenne. Aber Sie sind auf dem Holzweg. Sie haben in Ihrem Leben immer alles tun können, wozu Sie Lust und wann Sie Lust hatten. Und Sie hatten immer Menschen um sich, die Sie liebten. Jetzt klemmen Sie beim ersten kleinen Widerstand den Schwanz ein und laufen davon. Sie sind egoistisch und denken nur an sich!«
Jackie stand noch immer unter dem Eindruck von Nellies unerwartetem Ausbruch. Verblüfft sah sie zu, wie Nellie die Essensreste wieder in den Picknickkorb packte.
Um sich zu rechtfertigen, sagte sie: »Ich verstehe das nicht. Ich bin bestimmt nicht
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