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Unwiederbringlich

Unwiederbringlich

Titel: Unwiederbringlich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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sprach eben von meiner Unbefangenheit, die mir zum Guten gedeutet werden müsse, will aber im Gegensatze dazu einräumen – und das ist das einzige Zugeständnis, das ich machen kann –, daß mir in meiner Korrespondenz mit Christine der richtige Ton schließlich verlorengegangen ist. Von dem Augenblick an, wo man sich beargwohnt sieht, ist es schwer, in Ton und Haltung korrekt zu bleiben, und um so schwerer, als es
den
Unschuldsgrad gar nicht gibt, der einen, wenn erst mal Zweifel angeregt wurden, gegen Bedenken und kleine Vorwürfe seiner selbst ein für allemal sicherstellte. Was wandelt uns nicht alles an, was beschleicht uns nicht alles? Vieles, alles. Aber schon Martin Luther, dies weiß ich aus der Traktätchenliteratur, die immer nur zu fleißig in unser Haus kam, hat einmal ausgesprochen: ›Wir können nicht hindern, daß die bösen Vögel über uns hinfliegen, wir können nur hindern, daß sie Nester auf unserm Haupte bauen.‹ Ja, Schwager, es bleibt dabei, Christine, so vieler Tugenden sie sich rühmen darf,
eine
hat sie nicht, sie hat nicht die der Demut, und genährt und großgezogen in der Vorstellung einer besonderen Rechtgläubigkeit, von der sie beständig Heilswirkungen und Erleuchtungen erwartet, kommt sie natürlich nicht auf den Gedanken, daß sie, gleich anderen, auch irren könnte. Sie hat Asta nach Gnadenfrei gebracht und Axel nach Bunzlau, das sind Taten, die Schwächen und Irrtümer ausschließen, Irrtümer, denen andere, die statt nach Herrnhut nach Kopenhagen reisen, ein für allemal unterworfen sind. Und nachdem ich so meine Verteidigung geführt und gegen den Schluß hin, mehr, als mir lieb ist, die Rolle des Angeklagten mit der des Anklägers vertauscht habe, verabschiede ich mich und lege meine Sache in Deine Hand, vollkommen sicher darin, daß Deine Klugheit und vor allem auch die Liebe, die Du gleichmäßig für mich wie für Christine hegst, alles zum Guten hinausführen wird. Und damit Gott befohlen. Wie immer
    Dein Dir herzlich ergebener Holk«
     
    Als er die Feder aus der Hand gelegt hatte, nahm er den Bogen und stellte sich ans Fenster, um alles, Zeile für Zeile, noch einmal durchzusehen. Er fand manches auszusetzen und murmelte, wenn ihm dies und das nicht zusagte, »fast so doktrinär wie Christine«; der Schluß aber von der »besonderen Rechtgläubigkeit« gefiel ihm und mehr noch die Stelle von der »eingebüßten Unbefangenheit«, eingebüßt, »weil es, sobald man erst unter Anklage stehe, keinen Unschuldsgrad gäbe, da einen gegen Zweifel und gelegentliche Selbstvorwürfe sicherstelle«.
    Sein Auge weilte wie gebannt darauf, bis zuletzt die Befriedigung darüber hinschwand und ihn nichts mehr daraus ansah als das Bekenntnis seiner Schuld.
     
Fünfundzwanzigstes Kapitel
     
    Die schönen Tage, die, seinem Ruf zum Trotz, fast den ganzen November über angedauert hatten, schlossen mit dem Monatswechsel ab, und heftige Nordweststürme setzten ein, nur dann und wann von Regenschauern unterbrochen, die freilich oft schon nach wenig Stunden einem neuen Nordwester Platz machten. Dieser Wetterumschlag änderte natürlich auch das Leben im Schloß; alle Spaziergänge, die sich nicht selten bis Fredensborg und südlich bis Lilleröd ausgedehnt hatten, hörten auf, und an die Stelle der halb dienstlichen Vereinigungen in der großen Herluf-Trolle-Halle traten jetzt kleine Reunions, die sich zwischen »hüben und drüben« oder, was dasselbe sagen wollte, zwischen den beiden Türmen teilten und an einem Abend bei der einen, am andern bei der anderen der beiden Hofdamen stattfanden. Die Prinzessin hatte dies eigens so gewünscht, und die Schimmelmann, so steif und zeremoniell sie sonst sein mochte, war als Wirtin von großer Liebenswürdigkeit, so daß ihre »Abende« mit denen Ebbas wetteifern durften. Die Zusammensetzung der Gesellschaft war immer dieselbe: voran der Hofhalt der Prinzessin, dazu das Schleppegrellsche Paar und die beiden Adjutanten des Königs, von denen Lundbye sich auf den Hof- und Lebemann, Westergaard auf den Freisinnigen hin ausspielte, kleine gesellschaftliche Nuancen, die den Reiz des Verkehrs mit ihnen nur noch steigerten. Ja, man sah sich täglich, immer nur zwischen dem Links- und Rechtsturm wechselnd, und wie die Zusammensetzung der Gesellschaft dieselbe war, so war es auch die Form der Unterhaltung, die sich auf Lustspiele lesen und Deklamation und, wenn es hoch kam, auf ein Stellen von Bildern beschränkte. Dann und wann, schon um Pentz und der

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