Unzaehmbares Verlangen
Letty zur Tür und schob dabei ihre Brille zurecht. »Können wir gehen?« fragte sie Joel.
»Das wollte ich dir schon vor zehn Minuten vorschlagen.« Joel warf Diana noch einen Blick zu, bevor er Letty auf den Gang hinaus folgte. »Du solltest Keith ein wenig mehr Vertrauen entgegenbringen. Er braucht deine Unterstützung. Ich glaube, Letty hat recht - er wird mit deinem Vater fertig werden.«
Als Joel die Tür hinter sich geschlossen hatte, hörte Letty, wie Diana zu schluchzen begann. Schweigend gingen sie zum Fahrstuhl.
»Letty?«
»Ja?« Sie drückte auf den Knopf.
»Ich bin froh, daß Diana es vor fünfzehn Jahren nicht zuließ, daß ich sie von ihrem Vater fortholte.«
Letty nickte kurz, spürte aber, wie sich ihre Stimmung ein wenig aufhellte.
Joel hielt ihr die Tür auf. »Weißt du, was mir an dir so gefällt?«
»Nein, sag es mir.«
»Du würdest deine Zeit nicht damit verschwenden, herumzusitzen, um auf einen Retter zu warten, und dann im letzten Moment kalte Füße bekommen. Du hast eine Menge Mut. Ihr Leute aus Indiana seid wohl hart im Nehmen.«
Letty zwinkerte. »Sagtest du Indiana?«
»Ja.«
»Dann habe ich mich doch nicht verhört.« Sie lächelte. »Ja, du hast recht. Wir aus Indiana können einiges aushalten.«
Zwei Stunden später betrat Letty die Toilette im dritten Stock. Sie hatte soeben mit Cal Manford von der Marketingabteilung gesprochen und war sehr erfreut, daß ihre Vorschläge für die neue Werbekampagne großen Anklang gefunden hatten. In einer der Kabinen dachte sie über das Gespräch mit Diana nach, als sie hörte, wie die äußere Tür geöffnet wurde und zwei junge Frauen hereinkamen.
Eine von ihnen kicherte belustigt. »Bist du sicher?«
»Beth hat mir erzählt, daß sie in den letzten Tagen immer gemeinsam in der Firma auftauchten«, erwiderte die andere. Letty konnte sehen, daß sie hochhackige rote Schuhe trug. »Sie kamen beide von der First Avenue - wahrscheinlich aus ihrer Wohnung. Beth hat gehört, daß Miß Thornquist dort ein Apartment gemietet hat.«
»Dann wird es wohl stimmen. Die beiden schlafen miteinander. Wer hätte das gedacht? Sie sieht nicht so aus, als wäre sie sein Typ. Ich meine, wer hätte geglaubt, daß er sich einmal mit einer ehemaligen Bibliothekarin abgeben würde?«
»Roger von der Buchhaltung sagt, sie sei sehr attraktiv«, erwiderte die Frau mit den roten Schuhen. »Und Arthur Bigley ist überzeugt davon, daß sie wahre Wunder vollbringen kann.«
»Trotzdem ist es merkwürdig. Blackstone hat sich noch nie mit einer Angestellten eingelassen. Dabei gibt es einige hier, die nichts dagegen hätten, mit ihm an einem ungestörten Ort ein Zelt aufzubauen.«
»Miß Thornquist ist eben keine Angestellte«, wandte die andere ein.
»Du hast recht. Der Geschäftsführer schläft also mit der Inhaberin der Firma. Sehr interessant.«
»Vielleicht will sich Blackstone auf diese Weise die Kontrolle über das Unternehmen sichern«, sagte die Frau mit den roten Schuhen nachdenklich.
Letty wartete, bis die beiden die Toilette verlassen hatten. Dann wusch sie sich eilig die Hände und vergewisserte sich, daß der Gang leer war, bevor sie hinaustrat.
Es war ihr zu peinlich, den Fahrstuhl zu benutzen, also lief sie die Treppe zum vierten Stock hinauf.
Oben angekommen, schnappte sie nach Luft und errötete, als eine Sekretärin sie respektvoll grüßte.
Bestimmt weiß die es auch schon, dachte sie peinlich berührt. Alle wissen Bescheid.
Ohne zu überlegen, eilte sie zu Joels Büro. Glücklicherweise war Mrs. Sedgewick nicht im Vorzimmer. Sie klopfte rasch an seine Tür und stürmte hinein, ohne eine Antwort abzuwarten.
Joel sah überrascht auf. »Was ist los mit dir? Alles in Ordnung?«
»Nein«, keuchte Letty. »Es ist etwas Schreckliches geschehen.«
»Was?« fragte Joel besorgt.
»Alle wissen es. Die ganze Belegschaft. Ich habe es gerade in der Toilette erfahren.«
»Das ist sicher der beste Ort für einen Informationsaustausch«, bemerkte Joel trocken. »Worum ging es denn?«
»Sie wissen Bescheid über uns.« Lettys Stimme klang unnatürlich hoch. »Sie wissen, daß wir eine Affäre haben. Die Sekretärinnen unterhalten sich bereits im Waschraum darüber.«
»Ach, das meinst du.« Joel entspannte sich und nahm die Akte wieder in die Hand, die er gerade studiert hatte. »Ich habe dir doch gesagt, daß wir es nicht lange verheimlichen können.«
Letty starrte ihn entgeistert an. »Meine Güte, Joel, das ist kein Scherz.« Sie lief
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