Unzaehmbares Verlangen
zwar nicht sehr schmeichelhaft für mich, aber möglicherweise die Wahrheit.«
Stephanie zuckte die Schultern. »Das liegt wohl auf der Hand. Jeder Mensch strebt nach etwas Bestimmtem. Wenn man seine Ziele kennt, kann man ihn auch besser verstehen.«
»Du glaubst also auch nicht, daß Philip nach Seattle gekommen ist, weil er sich vor Liebe nach mir verzehrt?« fragte Letty ironisch.
»Nein, aber ist das wirklich ein Problem? Manchmal verbindet gemeinsames Interesse - wie zum Beispiel an einer Firma wie Thornquist Gear - mehr, als ein Kind oder körperliche Leidenschaft.«
»Daran habe ich noch nicht gedacht.«
Stephanie holte ihren Kugelschreiber aus der Tasche, als Dr. Humphries zu sprechen begann. »Ich bin überzeugt, daß Philin dich zu Beginn eurer Beziehung sehr gern hatte. Sonst hätte er dich nicht gebeten, seine Frau zu werden. Wenn diese Zuneigung mit einem gemeinsamen Geschäftsinteresse verbunden wird, könnte sich daraus eine stabile und zufriedenstellende Ehe entwickeln.«
»Vorausgesetzt, ich unterziehe mich einer Therapie«, murmelte Letty.
Glücklicherweise war Stephanie bereits in Dr. Humphries Vortrag über Fruchtsäfte für Kinder vertieft und hörte ihre Bemerkung nicht.
Eine halbe Stunde später war der Kurs vorüber, und sie gingen zum Wagen hinaus. Stephanie setzte sich hinter das
Steuer ihres Porsche. »Das war ein hervorragender Kurs. Dr. Humphries hat ihre Doktorarbeit über die Ernährung von Kleinkindern geschrieben.«
»Ja, ich weiß.«
»Sie ist eine anerkannte Expertin auf diesem Gebiet.«
»Das glaube ich, aber es erscheint mir ein wenig übertrieben, hundert Dollar zu kassieren, um Frauen beizubringen, wie man Gemüse in Brei verwandelt. Ich hätte dir das gern für fünfzig Dollar erklärt.«
Stephanie preßte die Lippen aufeinander. »Das verstehst du nicht.«
»Mir scheint, ich verstehe in letzter Zeit einiges nicht.« Letty seufzte. Das Leben in Indiana war auf jeden Fall einfacher gewesen.
Joel drückte seinen Daumen so lange auf die Klingel, bis Morgan die Tür öffnete.
»Ist Letty hier?«
Morgan nahm die Lesebrille ab und musterte den ungebetenen Gast. »Sie besucht mit Stephanie einen Kurs über Kinderernährung. Die beiden müßten bald zurücksein. Möchten Sie hereinkommen und warten?«
»Sehr gern. Sonst laufe ich Gefahr, sie wieder zu verpassen. Ihre Tochter ist schlüpfrig wie ein Aal.«
Morgan hob die Augenbrauen und bat Joel mit einer Geste ins Wohnzimmer. »Was meinen Sie damit?«
»Sie wußte genau, daß ich sie heute nachmittag im Büro sprechen wollte, aber sie hat sich einfach davongeschlichen.« Joel ließ sich in einen Sessel neben dem Kamin fallen und hielt die Hände vors Feuer. »Hat sie Ihnen erzählt, daß ihr verrückter Ex-Verlobter in der Stadt ist?«
»Ja. Meine Frau glaubt, er wäre nur wegen Thornquist Gear gekommen.«
Morgan setzte sich Joel gegenüber und legte das Buch zur Seite, in dem er gelesen hatte.
Automatisch sah Joel auf das Deckblatt. Der Titel lautete: Anwendungen der mittelalterlichen Logik bei Computeranalysen. Autor: Morgan Thornquist.
»Haben Sie das geschrieben?« fragte Joel neugierig.
»Ja. Ich habe heute ein Vorausexemplar erhalten und es mir gerade angesehen.«
»Kann man wirklich Logik des Mittelalters auf Bereiche moderner Computertechnik übertragen?«
»Aber ja. Es gab einige mittelalterliche Philosophen, die sich äußerst beeindruckende Dinge ausgedacht haben. Und jetzt erzählen Sie mir, was heute mit Dixon vorgefallen ist.«
Joel trommelte nervös mit den Fingern auf die Stuhllehne. »Dieser Dixon hat sich in Lettys Büro breitgemacht, während wir unterwegs waren. Als ich die Tür öffnete, fing er sofort an, mir Befehle zu erteilen. Ich war kurz davor, ihn aus dem Fenster zu werfen, aber Letty tat alles, um mich daran zu hindern, eine Szene zu machen. Sie erklärte mir, wir würden die Sache später besprechen. Dann verschwand sie einfach. Ich habe sie stundenlang gesucht.«
»Letty ist momentan wohl ein wenig durcheinander. Sie sagte mir, sie hätte keine Erfahrung im Umgang mit streitenden Männern.«
Joel runzelte die Stirn. »Damit hat sie keine Schwierigkeiten, das dürfen Sie mir glauben. Ich spreche aus Erfahrung.«
»Tatsächlich?«
»Letty ist kein zartes Pflänzchen - sie kann sich sehr gut behaupten. Das Problem ist dieser Dixon. Er versucht sie herumzukriegen, um an die Firma heranzukommen. Der Kerl glaubt, er könne sich die Leitung von Thornquist Gear unter den Nagel
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