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Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Titel: Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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verlorenen Krieges, in einem ausgeplünderten Land, ohne Tiere, ohne Maschinen, ohne Arbeitskraft, ohne Reserven, ohne Saatgut. Jeder weiß, dass die Bodenreform jetzt, gerade jetzt, gleichbedeutend mit einer Katastrophe ist; der Kleinhäusler weiß das ebenso gut wie der Gutsherr. Doch vor zehn Jahren, zwanzig Jahren, hundert Jahren, als man sich unter günstigeren Bedingungen hätte daranmachen können, schlichen alle um diese Frage herum: der Gutsherr ebenso wie der Bauer. Und jedes Volk hat die Herren, die es verdient.
    Das Buch Prinzessin Murats über Christine , die schwedische Königin, und ihre amourösen Abenteuer. Ich lese es voller Langeweile, denn ich kann an keine Bücher kommen, die meinem Herzen lieb wären und meiner Sehnsucht gerecht würden. Pariser Salongetratsche über eine Frage, die die Aufmerksamkeit eines besseren Schriftstellers verdient hätte.
    Diese maskulinen Frauen in der modernen Welt haben sich auf das »Geschäft« gestürzt. Sie führen große Unternehmen, sind gnadenlos, kleinlich, unversöhnlich: Die schlimmsten Geschäftsleute sind immer diese maskulinen Frauen. Sie sind habgierig, unersättlich; glauben, der höchste Sinn des Geschäfts sei das Zusammenraffen. Christine, Elisabeth von England waren auf ihre kranke Art Königinnen; die modernen Androgynen, die ich kannte, waren allesamt bösartige kleine Krämerinnen.
    Jetzt kommt die Zeit – ein paar Jahre –, da jede Revolution die schwierigste Prüfung zu bestehen hat; sie muss beweisen, dass sie nicht nur »tilgen«, bestrafen, zur Rechenschaft ziehen und »liquidieren« kann, sondern auch Begabte hat, Menschen, die etwas schaffen können. Der Professor, der durch die Revolution einen Lehrstuhl bekommt, weil er »verfolgt« wurde und »ein guter Linker« war, der Schriftsteller, dessen Buch in der Vergangenheit aus ähnlichen Gründen nicht erscheinen durfte, der Händler, der aus gleichem Grund nicht verkaufen, der Ingenieur, der nicht bauen durfte: Jetzt dürfen sie lehren, schreiben, verkaufen und bauen. Es dauert Jahre, bis sich herausstellt, was sie wirklich können. Davor werden noch viele Werte zerstört; nicht nur die »schuldig gewordenen Talente«, die in jähzorniger Rache auf den Scheiterhaufen geworfen werden, sondern auch die ruhigen, die erfahrenen, die wertvollen, die nicht so starke Ellenbogen haben und denen es nicht behagt, am Gerangel der Revolution teilzunehmen. In diesen Jahren wird vieles ans Licht kommen; der Arzt, der eine falsche Diagnose stellt, obwohl er ein »guter Linker« ist, der Schriftsteller, dessen Stück und Buch durchfallen, obwohl er in Weltanschauung ein »Sehr gut« verdient, der Händler, der an falscher Stelle einkauft und seine Waren dann nicht konkurrenzfähig verkaufen kann, der Ingenieur, der ein Haus baut, das trotz seiner Qualifikation in Sachen Ideologie einstürzt: Sie müssen in diesen kommenden Jahren die Prüfung bestehen. Zugleich wird auch die Gesellschaft auf die Probe gestellt; sie lernt langsam, zwischen Qualifikation und Qualität zu unterscheiden. Auf die Zeit danach warten alle, in der Stille oder im Lärm, nach Lust und Laune. Mich interessiert das Schankrecht, jeden Tag mehr und inniger.
    Es gibt keine »Rache«, keine »Wiedergutmachung«, keine Genugtuung, keine irgendwie geartete »Lösung«. Es gibt nur eine einzige mögliche Verhaltensweise: Freundlichkeit und Gelassenheit.
    Die Freiheit ist entweder vollkommen und bedingungslos oder überhaupt nicht. Schriftsteller können nur in bedingungsloser Freiheit existieren.
    Es gibt aber nicht nur Redefreiheit. Es gibt auch die Freiheit zu schweigen. Ich will mich, solange ich Lust dazu habe, für Letztere entscheiden.
    Hyazinthen, Frühlingszwiebeln, Schnittlauch … freiwillig, ohne menschliche Hilfe, strecken sie ihre Köpfchen aus dem lauwarmen Boden. Alle duften auf ihre spezielle Art.
    Ohne Gärtner füllt sich der Garten mit Schönheit und Früchten. Was der Mensch zu dieser Üppigkeit beiträgt, ist wertvoll und nützlich; aber nicht von Belang.
    Aus Buda fliehen die Menschen wie bei einer Völkerwanderung; meine Bekannten können die freien Zimmer ihrer intakten Wohnung nicht vermieten; die Mehrheit der Menschen kann ohne Brücken in dieser Ruinenlandschaft voller Kadaver nicht leben und überleben.
    Trotzdem werde ich vielleicht im Winter in das Einzimmerapartment in der Zárdastraße ziehen, das heil geblieben ist. Es ist das passende Plätzchen für untätige Pensionisten und untätige, nicht

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