Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)
gesündigt haben? Schließlich verrät sie uns, dass sie »Unzucht« beichten möchte, aber nicht weiß, was das ist. Wir fragen sie aus und erfahren, dass sie Unzucht mit Gefräßigkeit verwechselt.
Diese hirnlose Pädagogik, die ein achtjähriges Mädchen innerhalb einer Woche zweimal zum Sündenbeichten zwingt, verführt natürlich zur Sünde: Häufiges »Beichten« gibt den Kindern die Möglichkeit, zu »sündigen«, ohne nachzudenken, wird doch am Ende der Woche sowieso gebeichtet und dann die Absolution erteilt … Bigotte Köchinnen stehlen und betrügen, treiben Unzucht in der ruhigen Gewissheit, dass sie am Wochenende im Beichtstuhl ohnehin die Absolution erhalten … Über die Pädagogik der Kirche gäbe es hierzulande auch ein paar Worte zu verlieren … wenn es sich denn lohnen würde, darüber zu sprechen.
Die Front hat Ungarn verlassen, gekämpft wird irgendwo vor Wien und rund um München. Dennoch grollen hier und da noch Explosionen. Bomben? Verspätete Granaten? Sie erinnern an einen erzürnten Menschen, der seine Wut schon einmal in alle Welt hinausgeschrien hat und einem, bevor er geht, von der Tür her noch irgendeine Grobheit zuruft.
Die Gedichte summen und brummen, schwellen und wuchern: Die Stimmen kehren aus der Ferne zurück, aus der Jugend, als ich noch Dichter war. Verdutzt stelle ich fest, dass ich nicht anders arbeiten kann als innerhalb eines Rahmens: Aus den Gedichten wird jetzt ein »Zyklus« , etwas Abgerundetes, Zusammengehöriges und Abgeschlossenes. Das ist bei mir konstitutionell bedingt, ist mein Schicksal als Schriftsteller.
Ein Herr sucht mich auf, er kommt aus Budapest, möchte eine Wochenzeitung nach dem Muster der Weltwoche gründen, die sich zur Aufgabe machen will, das ungarische Bürgertum zu erziehen, es zur Selbsterkenntnis, zur Auf- und Abrechnung zu zwingen, es zu einen, damit alles, was an ihm wertvoll und lebensfähig ist, in diesem Sturm überleben kann. Der Herr möchte ein Manuskript von mir. Er ist umgänglich, informiert und hat recht, wenn er einen solchen Versuch wagt …
Nur ist er an die falsche Adresse geraten, als er nach Leányfalu zu mir herausgepilgert ist. Ich bin Bürger, teile das Schicksal des ungarischen Bürgertums, glaube aber nicht an seine Zukunft, seine Moral, ich will nicht »erziehen« – habe auch kein Recht dazu – und will auch nicht zur Selbsterkenntnis und zur Auf- und Abrechnung zwingen. Ich verachte das Bürgertum, weil ich es in seiner nackten Wirklichkeit erlebte, ich sah seine Erbärmlichkeit, als es sich mit zigeunerischen Henkern verschwor, wie es alles verleugnete, was Wert hat, um mit der Begründung seiner Bürgerlichkeit – und ohne aufrichtigen Wettbewerb – frei rauben und grausam sein zu dürfen. Ich will nichts, teile sein Schicksal; nur glauben kann ich an das Bürgertum nicht. Und die ungarische Reaktion, die sich jetzt in der einzigen bürgerlich-demokratischen Gruppierung , hinter dem Schanzenwerk der Kleinlandwirtepartei, versteckt, kann alles bekommen, nur eines nicht, so hoffe ich wenigstens: die Billigung durch die Schriftsteller.
Was will ich also? Einige Gedichte schreiben, in Abgeschiedenheit leben und so bald wie möglich weggehen von hier, vor meinem Tod die Welt noch einmal sehen und sie wirklicher sehen … Und die Beleidigten schreiben und den dritten Band der Bekenntnisse eines Bürgers . Alles andere geht mich nichts an; alle anderen Aufgaben muss ich jenen Schriftstellern überlassen, die Spaß daran finden, eine »Rolle« zu spielen.
Kamerad, hab acht! Ursprünglich hieß es, dass du ein Dichter wirst. Jetzt drohen dir große Gefahren: Es ist nicht ausgeschlossen, dass du Abgeordneter wirst.
1001 Nacht ist für mich in meinem jetzigen Zustand fast so aufregend wie eine günstige Gesellschaftsreise zu Friedenszeiten.
Der Großgrundbesitz muss aufgeteilt werden, die Hochburgen der ungarischen Reaktion, die Levente -Institution, die Heldenprivilegien, die Geheimbünde und die mit noch geheimeren, mit Vorstandsmitgliedschaften gepolsterten Interessenbünde müssen abgeschafft werden … und die »linke Front« hat sich bereits an diese notwendigen und komplizierten Aufgaben gemacht.
Doch die Kommunisten sind Realpolitiker und haben es, wie es aussieht, mit der Machtübernahme nicht eilig. Sie überlassen die unpopulären Aufgaben den eifrigen und flinken Kämpen der linken Mittelschicht und des Bürgertums. Sie haben Zeit. Sie sind gute Politiker, haben viel gelernt.
X. wurde nicht
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