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Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition)

Titel: Unzeitgemäße Gedanken: Tagebücher 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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einzige tragische Bindung: Ich gehöre schicksalhaft zu einer Sprache, hinter der keine Nation steht. Es gibt nur eine menschliche Gemeinschaft, die – recht und schlecht – Ungarisch spricht.
    Eine Femme fatale? … Vielleicht. Aber vielleicht ist sie auch nur eine Gans, mit dreckigem Hintern.
    Eine Zeit lang amüsierte es mich, dass ich immer auf der anderen Seite stehen musste: In den Augen der Faschisten war ich ein verfluchter, destruktiver Linker, ein »Knecht Moskaus« und so weiter, in den Augen der Kommunisten bin ich ein verdächtiger Rechter, ein heimlicher Faschist. Wahrscheinlich bin ich auf dem richtigen Weg, wenn ich für jedes Extrem verdächtig bin: weder Faschist noch Kommunist. Einfach ein Mensch, der nicht an die Entwicklung der Menschheit glaubt, aber an deren Kultur.
    Auf dem richtigen Weg bin ich ja vielleicht; aber manchmal habe ich dieses Missverständnis schon satt. Und ich kann es nicht zerstreuen: Wer beweisen will, der verteidigt sich, und dazu habe ich weder Grund noch Lust. Deshalb tue ich nur, was ich kann: Ich lebe, bin bemüht, mich nicht zu langweilen, und warte auf das Ende, damit ich gehen kann, irgendwohin, wo es noch Kultur gibt oder gute Manieren oder ein Rechtssystem oder Spontaneität, jungfräuliche, wilde Zustände … wo es irgendetwas gibt. Hier gibt es nichts, nur Missverständnisse.
    Kuncz war ein guter Schriftsteller, weil er ein großes Erlebnis hatte, aber vielleicht wäre er ein großer Schriftsteller geworden, wenn er nicht ein großes Erlebnis – die Gefangenschaft – gehabt hätte, das ihn völlig mit Spannung auflud und gleichzeitig seine schriftstellerische Kraft total aufsaugte. Aus dem Stoff dieses Erlebnisses schrieb er ein hervorragendes Buch; doch dieses Erlebnis strahlte keine weitere Lebens- und Arbeitskraft aus, die weiter in ihm pulsiert hätte. »Krank« sei er gewesen, heißt es. Aber wahrscheinlicher ist, dass er starb, weil ihn sein Erlebnis ausgelaugt hatte, weil er »das« Buch schrieb und keine weitere Lebensaufgabe für sich sah.
    Ich habe Die Schwester abgeschlossen. Und ich glaube, ich habe auch meine Karriere als »Romancier« beendet … Sie auf jeden Fall abgeschlossen in dem Sinne, wie ich in den letzten Jahren dieses Genre betrieben habe.
    Ich will keine »Romane« mehr »schreiben«. Ich will nur schreiben, solange ich kann, ohne festgelegte Grenzen des Genres, wie Gottes Gnade und meine Laune es mir auferlegen. Amen.
    Und ich habe auch die Gedichtsammlung zu Ende gebracht, aus der natürlich ein Zyklus wurde … das ist bei mir schon ein organischer Fehler. Wenn ich noch einmal ein Gedicht schreibe, schreibe ich es auf Zigarettenpapier und schicke es mit dem Wind auf die Reise.
    Allerlei »getarnte« Parteien konstituieren sich: Die geheimen Kommunisten verschanzen sich ebenso wie die geheimen Reaktionäre hinter kleineren Parteien. Diese Gründungen sind hoffnungslos und auch nicht sympathisch. Jemand soll Kommunist sein oder Reaktionär oder keines von beidem: Aber er soll auf keinen Fall Filialen gründen.
    In Budapest. Ich gehe über die Pontonbrücke, die über die Margareteninsel führt. Auf beiden Seiten der Brücke überraschend primitive politische Propagandaplakate. Ich kann mir diese »Kunstgattung« nur als Zeitvertreib sich langweilender Soldaten vorstellen. Auf der Pester Seite – genau wie auf der Budaer – Brand- und Aschegeruch, Müll- und Leichengestank. Aprilwind, er wirbelt den Staub zu dichten Wolken auf. Ich gehe zu meinem Verleger: Gebäude, Druckerei, Lager sind intakt. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass hier in absehbarer Zeit Bücher gedruckt und veröffentlicht werden … überall Aasgeruch. In den Mietshäusern rund um den Szabadságplatz improvisierte Ministerien. Jetzt, da die stolzen Kulissen zusammengestürzt sind, spiegeln Außenamt, Innenministerium, der Amtssitz des Ministerpräsidenten, die als Bettgeher in Mietshäusern residieren, die Wirklichkeit wider: eine balkanische Stadt, ohne Königliche Burg, Szent-György-Platz und Sándor-Palais, seltsam verdächtige Gestalten in den Ämtern, die in den verkommenen Etagen trostloser Häuser herumlungern, ein und aus gehen … Manchmal ist schon ein Auto mit ungarischem Nummernschild ein großes Ereignis! Die ganze Straße läuft zusammen! Zwei amerikanische Sergeanten gehen die Straße hinunter, sie rauchen Pfeife, sind dick, genau wie die amerikanischen Soldaten in den Illustrierten, wenn sie die Straßen von Bagdad entlangspazieren und

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