Unzertrennlich
Wirklichkeit hatte sie Angst vor den Erinnerungen an Richard und vor den Gefühlen, die sie auslösten. Seit jenem Wochenende hatte sie Richard nur zweimal gesehen. Anfang Juli hatte sie ihn in Bremen besucht, danach war er für drei Wochen beruflich in die USA geflogen. Während dieser Zeit schrieben sie sich sehnsüchtige SMS und telefonierten kurz. Als er wieder zurück war, kam er für einen Abend zu Christine. Er wirkte bedrückt, erzählte aber nichts. An diesem Abend bekam er 17Anrufe von seiner Frau Sabine. Richard erklärte kurz, dass sie Probleme in ihrer Berliner Kanzlei habe, sie sei im Moment ziemlich angeschlagen. Christine fragte nicht nach, sie hatten sich geeinigt, sein Eheleben außen vor zu lassen. Seitdem hatten sie nur telefoniert. Christine empfand seine Sehnsuchtsbekundungen inzwischen als mechanisch. Er hatte eine traurige Stimme, wehrte aber jede Frage ab. Christine vermutete, dass Sabine etwas von dem Doppelleben ihres Mannes ahnte und Richard Panik bekommen hatte. Er fuhr nun wieder am Wochenende nach Berlin und erzählte Christine von Terminen mit Banken oder Autowerkstätten, sie legte zweifelnd auf. Sie wusste, dass er unter der Situation litt, das tat sie selbst, trotzdem schaffte sie es nicht, Richard die Entscheidung abzunehmen und sich von ihm zu trennen. Manchmal verabscheute sie sich dafür.
»Christine! Christine Schmidt, das gibt es doch gar nicht.«
Christine zuckte zusammen, als sie aus ihren dunklen Gedanken gerissen wurde. Sie drehte sich um und sah zwei Männer auf sich zukommen. Sie kniff die Augen zusammen, um etwas erkennen zu können. Einer war ihr Verlagsleiter.
»Hallo, Mathias, das ist ja witzig.« Sie stand auf und streckte ihm ihre Hand entgegen. Mathias lachte sie fröhlich an und schüttelte ihre Hand.
»Mensch, Christine, was machst du denn hier?«
Anscheinend war er nicht mehr ganz nüchtern. Auch wenn er im Verlag immer locker und gut gelaunt war, konnte sich Christine nicht an ähnliche Begeisterungsausbrüche bei ihren zufälligen Treffen erinnern. Sylter Reizklima, dachte sie und wunderte sich ein bisschen.
Mathias schüttelte immer noch mit glückseligem Gesichtsausdruck ihre Hand, während er sich zu seinem Begleiter umdrehte.
»Sven, darf ich vorstellen, das ist die wunderbare Christine Schmidt. Sie war vorher bei uns im Außendienst und arbeitet jetzt im Vertrieb. Sie schreibt Kolumnen für unser Stadtmagazin und nebenbei auch noch für die ›Femme‹, sie ist nett und klug und schön, alles in einer Person. Und sie ist Single. Was eigentlich unbegreiflich ist.«
Er kicherte albern. Christine spürte, wie sie errötete. Was war das denn für ein Film? Mathias schlug Sven, der etwas gequält guckte, kräftig auf die Schulter.
»Und hier, Christine, hier steht Sven, mein bester Freund seit Kindertagen. Er baut Häuser, also, nicht selbst natürlich, er ist Architekt, er ist nett, klug, witzig und trinkt nur, wenn er unglücklich ist. Und jetzt ist er unglücklich und wir müssen ihn aufheitern.«
Mathias wurde von einem heftigen Schluckauf unterbrochen und hielt sich die Hand vor den Mund. »Hups, ich gehe mal Wasser holen, sie denkt an mich und küsst einen anderen, haha, Wein hole ich auch gleich, wartet hier auf mich.«
Er zwinkerte ihnen zu und ging zum Tresen. Sein Gang war nicht mehr ganz sicher.
Christine und Sven sahen ihm nach, dann wandte Sven sich Christine zu und streckte ihr die Hand hin.
»Entschuldige, aber wir trinken schon seit heute Mittag. Ganz nüchtern sind wir beide nicht mehr, ich hoffe, du fühlst dich nicht von uns belästigt.«
Er hatte grüne Augen mit langen Wimpern, seine blonden Haare waren zerwuschelt, er hatte breite Schultern, war einen Kopf größer als Christine und hatte etwas Täppisches.
Christine fand die Situation komisch, sie verbiss sich das Lachen und deutete auf die Bank.
»Ich fühle mich nicht belästigt, setz dich doch. Kannst du überhaupt noch Wein trinken?«
Sven stöhnte leise und rieb sich die Stirn.
»Ich weiß nicht so genau, mir wird immer so schnell schlecht. Ich halte mich schon seit zwei Stunden nur an Wasser, Mathias schleppt nur immer weiter das Zeug an.«
Wie aufs Stichwort stand Mathias mit einer Flasche Wein und drei Gläsern vor ihnen.
»So, mein Sven, mehr konnte ich nicht tragen, wenn du was anderes haben willst, musst du selbst gehen.«
Sven stand sofort auf, sah Christine mit einem schiefen Lächeln an und sagte: »Also, ich brauche unbedingt Wasser, entschuldigt
Weitere Kostenlose Bücher