Unzertrennlich
ist ja richtig cool, Mama.«
Frauke sah ihre Tochter nachdenklich an. Christine und sie waren damals zwei Jahre jünger gewesen als Lisa heute. Dreizehn. Es war ein eigenartiges Gefühl. Gunnar tätschelte ihr die Hand.
»Tja, das waren noch Zeiten. Damals waren wir noch jung und knackig. Und jetzt, Schätzelchen, jetzt sind wir nur noch knackig.«
Er lachte laut über seinen eigenen Witz, stand auf und trug seinen leeren Teller in die Küche. Als er zurückkam, küsste er Frauke auf den Scheitel.
»Wo ist denn meine Sporttasche? Ich muss gleich in die Halle.«
Fraukes Antwort kam automatisch: »Da, wo du sie hingestellt hast. Im Keller.«
Lisa kratzte geräuschvoll ihren Teller leer. »Dann mal viel Spaß beim Seniorenfußball, Papa. Ich hätte ja immer Schiss, dass sich einer von euch Opas mal die Gräten bricht. Zack, Oberschenkelhalsbruch, weg.«
»Lisa!«
Ihre Eltern rügten sie im Chor. Gunnar ging kopfschüttelnd in den Keller.
Lisa sah mit dem Selbstvertrauen ihres Alters hoch.
»Was denn?«
Ihre Gabel fuhr um den Tellerrand. Frauke stand auf und nahm ihr den Teller weg.
»Meine Güte, dieses Kratzen macht mich ganz verrückt.«
»Du bist aber auch nervös. Hast du eigentlich noch ein Bild von dir und Christine?«
Gunnar kam mit seiner gepackten Sporttasche hoch und zog seine Jacke über.
»So, ihr Lieben, ich fahre jetzt. Wenn Max nachher kommt, dann soll er seine dreckigen Schuhe wegräumen, sonst kriege ich einen Anfall. Bis später. Tschüss.«
Die Haustür fiel krachend ins Schloss. Frauke zuckte zusammen. Sie stand immer noch mit Lisas Teller an der Küchentür. In der Küche lag alles durcheinander, sie musste noch eine Waschmaschine anstellen und wollte das Kassenbuch für die Firma fertig machen. Doch im Augenblick fühlte sie sich nur müde. In letzter Zeit verspürte sie eine ungeheuere Sehnsucht, einfach alles hinzuschmeißen. Sie konnte es nicht mehr hören, Mama, wo ist dieses, wo ist jenes, sag Max, dass er das und das machen soll, ruf Jule an, was gibt es zu essen, wo ist mein Schlüssel und so weiter und so weiter. Lisas Stimme holte sie in die Gegenwart zurück.
»Was ist? Hast du jetzt ein Bild? Oder nicht?«
Frauke sah ihre Tochter nachdenklich an. Vielleicht war es ein Zeichen, dieser Brief aus der Vergangenheit. Irgendwo musste sie noch alte Fotos haben, Frauke warf selten etwas weg.
»Ja, ich glaube, ich habe noch ein altes Album. Geh doch mal gucken, in Papas Büro, im weißen Schrank, oben. So ein blaues Fotoalbum. Ich mache noch einen Tee, willst du auch?«
Lisa war schon unterwegs. Frauke wartete einen Moment. Dann kam der Ruf:
»Wo denn im Schrank?«
Frauke nickte. »Oben.«
Kurz darauf kam Lisa mit dem blauen Album unter dem Arm zurück.
»Ich habe es.«
Sie legte es auf den Tisch und klappte es auf. Frauke nahm ihr das Album wieder weg und klappte es zu.
»Warte doch einen Moment, ich wollte erst noch einen Tee kochen.«
Ihre Tochter verzog schmollend das Gesicht.
»Kannst du doch auch, ich will sowieso keinen, ich kann doch schon mal gucken.« Sie setzte sich auf den Stuhl und zog ein Bein unter ihren Hintern.
»Lisa, setz dich anständig hin, die Stühle wackeln alle schon.«
Lisa verdrehte die Augen und nahm ihr Bein runter. Frauke setzte sich neben ihre Tochter und zog das Album zu sich. Lisa sah sie an.
»Ich denke, du willst Tee kochen. Und außerdem hast du in letzter Zeit denselben Tonfall wie Oma.«
Frauke atmete tief durch. Sie merkte es auch, sie sagte lauter Dinge, die sie selbst furchtbar fand. Aber dieses Kind trieb sie manchmal in den Wahnsinn. Jetzt griff Lisa wieder zu dem Album. Frauke schlug unvermittelt auf den Tisch.
»Lisa! Dieses Album hat etwas mit meinem Privatleben zu tun. Geht das nicht in deinen Kopf, dass ich da erst mal selbst hineinsehen möchte? Du könntest ja mal Tee kochen.«
»Meine Güte, hast du eine Laune. Was heißt denn Privatleben, du bist meine Mutter. Reg dich ab, ich gehe Tee kochen.«
Sie stand mit betont langsamen Bewegungen auf und schlurfte in die Küche.
Frauke hätte ihr das Album hinterherpfeffern können. Was glaubte diese Göre überhaupt? Dass man als Mutter kein Privatleben hatte? Sie fand ihre eigene Tochter unverschämt. Und sie ärgerte sich, weil sie sich provozieren ließ. Sie sollte eigentlich darüberstehen. Ruhig, Frauke, sie ist dein Kind. Reg dich nicht auf.
Sie hatte das Fotoalbum zugeklappt vor sich liegen und strich mit beiden Händen über die geprägten Initialen.
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