Unzertrennlich
in Hand. Irgendwann schob Linda ihre Hände in ihre Anoraktasche, sie sagte, wir seien doch keine Babys mehr, die nicht alleine laufen können. Ich war ein bisschen traurig, aber sie hatte ja recht.
Wir spielten auch nicht mehr mit Puppen, Klaus sei zu schade für Barbies. Dafür spielten wir Gummitwist und Himmel und Hölle. Aber manchmal fand ich Linda verändert.
Plötzlich fand sie ihre große Schwester toll. Die machte mit ihr jetzt jeden Tag Schularbeiten, ihre Eltern hatten durch das Geschäft wenig Zeit.
Ein halbes Jahr später wurde mein Vater versetzt. Wir zogen von Flensburg nach Hamburg. Ich war sehr traurig und hatte Angst davor, es Linda zu erzählen. Schließlich begleitete mich meine Mutter zu Familie Liebe. Unsere Mütter setzten sich in die Küche und tranken Kaffee mit Schlagsahne, Linda und ich setzten uns auf die Stufen vor dem Ladeneingang. Ich suchte verzweifelt nach Worten und fing dann an zu weinen. Linda sah mich interessiert an. Irgendwann stieß ich Worte wie Umziehen, Hamburg und andere Schule hervor. Mir brach dabei das Herz, Linda pulte am Schorf auf ihren Knien. Nach einer Weile kamen unsere Mütter aus dem Haus. Meine Mutter gab mir ein Taschentuch und strich mir über den Rücken. Während sie sich von Frau Liebe verabschiedete, rannte Linda in den Laden.
Langsam ging ich neben meiner Mutter los, doch plötzlich stand Linda wieder vor mir. In der Hand hielt sie ein Würstchen. »Da«, sagte sie und streckte es mir entgegen, »ein Wiener. Und wenn ich in der zweiten Klasse bin, schreibe ich dir.« Ich habe das Würstchen auf dem Heimweg gegessen und es hat mich getröstet.
Mein dritter Wunsch wurde übrigens auch erfüllt. Meine Mutter bekam zwei Monate später ein Mädchen. Ines. Meine kleine Schwester.
Einen Brief von Linda Liebe habe ich jedoch nie bekommen. Dafür denke ich bei jedem kalten Würstchen an meine roten Lackschuhe. Und an meine erste Freundin.
Mai
Hamburg
»Linda Liebe!« Lachend schüttelte Georg den Kopf. »Das ist wirklich ein schöner Name.«
Er saß bei Ines in der Küche und aß Käsekuchen. Seine kleine Schwester entspannte sich nach beruflichen Stresssituationen durch Backorgien. Sie hatte am Vortag zwanzig Schüler durchs Altenpflegerexamen gebracht, das Endergebnis waren drei Käsekuchen. Anschließend hatte sie ihren Bruder angerufen. Er mochte Käsekuchen.
Während er aß, hatte Ines ihm die ›Kult‹-Kolumne der Mai-Ausgabe vorgelesen. Ines musste sich beim Lesen dreimal räuspern, Kindergeschichten rührten sie immer.
»Ich finde es ganz traurig, dass Christine nie einen Brief von Linda bekommen hat. Kannst du dich an sie erinnern?«
Georg dachte nach. »Nur ganz dunkel, ich war erst vier. Ich glaube, sie war ziemlich klein, hatte gelbe Haare und roch immer ein bisschen nach Wurst. Gib mir noch mal das Heft.«
Seine Hand griff ins Leere, Ines wehrte ab.
»Du hast ganz klebrige Finger, dann habe ich gleich Flecken drauf.«
Sie strich das Heft glatt, trennte vorsichtig die Seite raus, nahm eine Schere, schnitt den Rand gerade und stand auf. Aus einem Regal nahm sie eine Klarsichtfolie, schob das Blatt hinein, strich es noch einmal glatt und reichte es Georg.
»So, aber knick es nicht.«
Verblüfft sah ihr Bruder sie an. »Ich habe doch eine Kuchengabel benutzt. Machst du das mit allen Kolumnen?«
Ines zog einen Ordner aus dem Regal und legte ihn auf den Tisch. »Nur mit Christines. Ich habe sie alle abgeheftet.«
»Immer in Klarsichtfolie?«
»Sicher. Sonst vergilben sie und das sieht dann doof aus.«
Georg schüttelte den Kopf. »Beamtentochter.« Er überflog den Text, bevor er das Blatt übertrieben vorsichtig zurückreichte. »Hier, schnell weglegen, es könnte sonst zerstört werden.«
Ungerührt heftete Ines die Folie in den Ordner, den sie dann wieder ins Regal stellte. Sie setzte sich an den Tisch und schob ihrem Bruder die Kuchenplatte hin.
»Noch eins?«
Georg legte eine Hand auf seinen Magen. »Ich hatte drei, ich kann nicht mehr. Muss Christine keinen Kuchen essen?«
»Ich habe sie angerufen, aber sie hat keine Zeit. Sie hat einen Termin, wollte aber nicht erzählen, um was es geht. Vielleicht kommt sie später noch vorbei. Dafür kommt gleich Luise.«
»Luise? Wieso? Will sie die Verlagsvertretung an den Nagel hängen und Altenpflegerin werden?«
Ines lachte, während sie den Kuchen mit Alufolie abdeckte. »Das glaube ich kaum. Nein, sie hat mich letzte Woche angerufen. Sie will irgendetwas mit mir
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