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Schlimmes. Ich … Ich hab eine Zerrung im Rücken. Zu hart gearbeitet. Viel Stress gehabt. Ist nicht weiter schlimm.«
Er riskiert einen Blick auf Linda, die immer noch da steht, wo er sie stehen lassen hat, als er reflexartig nach seinem Komset griff. Fassungslos starrt sie ihn an. Ihr Hausmantel ist bis zum Nabel geöffnet. Über dem herunterhängenden Gürtel kann er die drei Locken des Schamhaars erkennen, die sich in Richtung der Leiste kräuseln, bemerkt ihre Sanduhr-Figur und die Brüste, die sich im V-Ausschnitt des Hausmantels abzeichnen, entdeckt den Rand eines Warzenvorhofs, des linken. Er trägt ein T-Shirt, Boxershorts und ist barfuß, kauert über seiner abgelegten Hose und spricht mit seiner Oma. Doch gleichzeitig sieht er Linda in die Augen und schüttelt entschuldigend den Kopf. Gleich darauf hockt er sich mit überschlagenen Beinen hin.
Erst jetzt fällt ihm auf, dass er eine Erektion hat. Er beschließt, Linda auch während des Telefongesprächs weiter anzusehen.
»Stress! Immerzu Stress. Du solltest mal Urlaub machen. Lässt du dich behandeln? Bei einem Chiropraktiker?«
Jetzt kann er nur noch vorwärts. »Ja. Ich hab für morgen einen Termin ausgemacht.«
»Wie kommst du da hin? Nimm bloß nicht die U-Bahn. Nimm ein Taxi. Und gib mir den Namen 93
des Arztes durch. Ich werde mich erkundigen, wer das ist.«
»Ich nehme ein Taxi, wird schon gehen. Aber ich bin an diesen Arzt gebunden, er ist nämlich der Einzige, den meine Reisekrankenversicherung bezahlt.«
»Der Einzige? Art! Was für eine Versicherung hast du denn? Ich werde da mal anrufen und von hier aus einen Chiropraktiker für dich suchen.
Betty Melville hat Verwandte in London. Die kennen sicher jemanden.«
Mein Gott. »Lass mal, Oma. – Wie geht’s dir denn überhaupt?«
Ein Seufzer. »Wie es mir geht? Wie soll’s mir an diesem Tag schon gehen?«
»Was macht die Gesundheit? Hast du immer noch so viel um die Ohren?«
»Alles bestens. Ich sorge schon dafür, dass mir nicht langweilig wird. Gestern hab ich Pater Ferlenghetti zum Abendessen eingeladen. Hab einen schönen Braten gemacht und heute gibt’s Sand-wiches aus den Resten.«
»Klingt gut.«
»Weißt du, ich denke viel an deine Mutter.«
»Ich weiß.«
»Denkst du auch manchmal an sie, Art? Du warst noch so klein, als sie von uns ging, aber du erinnerst dich doch an sie?«
»Aber klar doch, Oma.« Er erinnert sich wirklich 94
an sie, wenn auch nur schwach. Er war kaum neun Jahre alt, als sie starb.
»Natürlich – natürlich erinnerst du dich an deine Mutter. Es ist furchtbar für eine Mutter, wenn sie länger lebt als ihre Tochter.«
Seine Oma sagt das jedes Jahr. Art ist immer noch nicht klar, wie er darauf reagieren soll. Wird Zeit, etwas Neues auszuprobieren. »Jedenfalls bin ich froh, dass du noch bei uns bist.«
Offenbar die falschen Worte, denn Oma
schluchzt jetzt. Art wendet den Blick von Linda ab und mustert das wirre Kette- und Schuss-Muster des ausgeblichenen alten Perserteppichs. »Ach, Oma. Es tut mir wirklich leid.«
In Wirklichkeit hat Art zwar anfangs um seine Mutter getrauert, doch in den späteren Jahren hat er sie innerlich begraben. Seine Oma hat ihn liebevoll großgezogen, er hat nichts vermisst. Und wenn er an seine Mutter denkt, ist er eher traurig darüber, dass er nicht um sie trauern kann, als dass er den Verlust betrauert.
»Ich bin eine alte Frau, das weißt du ja. Du wirst mich doch nicht vergessen, wenn ich sterbe, nicht wahr, Art?«
Auch das ist eine rituelle Frage, die Art nie zur Zufriedenheit seiner Großmutter beantworten kann, so sehr er sich auch bemüht. »Das versteht sich doch von selbst, Oma. Aber du bleibst uns bestimmt noch lange erhalten!«
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»Wann kommst du denn wieder mal nach
Toronto?« Er ist der Frage bisher ausgewichen, aber Oma versteht es meisterhaft, aufs eigentliche Thema zurückzukommen und noch eins drauf-zusetzen. Da wir schon über mein baldiges Dahin-scheiden reden …
»Sobald ich kann. Vielleicht, wenn ich dieses Projekt abgeschlossen hab, im September.«
»Willst du dann bei mir übernachten? Ich kann ja auf dem Sofa schlafen. Wann ungefähr kommst du? Meine Freundinnen würden dich alle gern wiedersehen. Erinnerst du dich noch an Mrs. Tom-kins? Du hast früher immer mit ihrer Tochter Alice gespielt. Alice ist nicht verheiratet, weißt du. Und sie hat einen guten Job – arbeitet bei einem Ver-sicherungsunternehmen. Vielleicht kann sie dir eine bessere Krankenversicherung
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