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bis zur Unterkante der Tür reicht, später doppelt so hoch wie die Schwelle ist.
Ich finde meinen Arbeitsrhythmus und mache den Steinhaufen immer höher und breiter, bis ich die Tür nicht mehr schließen kann, wie fest ich auch dagegen drücke. Komme was wolle, jedenfalls möchte ich auf keinen Fall auf diesem gottverdammten Dach festsitzen.
Es hat sich allerlei Müll unter die Kieselsteine gemischt: Zigarettenkippen, abgebrannte Streich-hölzer, eine Kondomverpackung und ein hellgel-ber Bleistift der Firma Eberhard. Dessen Spitze ist so scharf wie ein Speer und das Radiergummi so rosig und elastisch wie eine Brustwarze.
Ich hebe den Stift auf, drehe ihn zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her und trommle einen nervösen Rhythmus auf die Dachkante, während ich meine Füße über dem bodenlosen Abgrund baumeln lasse. So sitze ich da, bis die Sonne aufgegangen ist und ich ihre Wärme auf der Haut spüre.
Als die Sonne hoch am Himmel steht und die ersten Autos auf den Parkplatz fahren, erwachen 85
die Hamster wieder zum Leben. Unentwegt plap-pern und quasseln sie und flüstern mir zu: O ja, steck dir den Stift in die Nase. Wärst du nicht lieber glücklich als klug?
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Art und Linda in diesem Witz von einer
Wohnung: Seit zwei Monaten haust Linda in dem winzigen Loch, denn sie hat für ein halbes Jahr die Wohnung mit Freunden von Freunden getauscht.
Das Apartment liegt in Kensington, ganz oben in einem vierstöckigen Haus ohne Aufzug. Angeblich bietet es von irgendeinem Fenster aus Ausblick auf den Kensington Park, der jedoch nirgendwo zu sehen ist. Die sparsame Innenbeleuchtung im Haus hat eine Zeitschaltung, deshalb muss man sich unheimlich beeilen, zu Lindas Wohnungstür zu gelangen, sonst hat man keine Möglichkeit, den archaischen Schlüssel in das zerschrammte Schlüsselloch hinein zu manövrieren. Die Fenster im Treppenhaus sind nämlich derart verschmiert, dass sie mehr eine Andeutung von Helligkeit als echtes Licht durchlassen.
Arts Hintern schmerzt, deshalb tigert er in den drei kleinen Räumen der Wohnung auf und ab und trinkt dabei ein hormonangereichertes, flüssiges Hochenergie-Frühstück aus dem Mini-Kühlschrank der Kompaktküche. Linda hat für sich das Recht an der ersten Dusche in Anspruch genom-87
men, wogegen Art nichts einzuwenden hat, denn er kommt einfach nicht mit dieser elenden englischen Sanitäreinrichtung zurecht, der nicht mehr als ein energiesparendes Iss-dein-Gemüse-und-rette-den-Planeten-Rinnsal von kochend hei-
ßem Wasser zu entlocken ist.
Art hat sein Komset ausgeschaltet. Seine strapazierten Nerven sind dem unaufhörlichen, for-dernden Summen und Piepsen einfach nicht mehr gewachsen. Es ist ein unerhörter Schritt, aber notwendig, sagt er sich, wenn man die außer-ordentlichen Ereignisse in den letzten vierundzwanzig Stunden bedenkt. Wenn es nach ihm geht, kann sich Fede, dieses paranoide Arschloch, gern zum Teufel scheren, und wenn er schon dabei ist, kann er die Kunden in Jersey und die ganze Bande von V/DT gleich mitnehmen.
Das Energiegetränk zeigt Wirkung: Arts Herz rast, der Puls pocht in seiner Kehle und er hat einen so unerträglichen Bewegungsdrang, dass er in der Miniküche den Kaffeetisch umkippt und sich im Wohnzimmer schließlich etwas Platz frei schaufelt – kaum genug, um sich um die eigene Achse zu drehen. Äußerst langsam führt er eine Reihe von Tai-Chi-Übungen durch, so langsam, dass fast keine Bewegungen zu erkennen sind.
Doch innerlich spürt er jedes Strecken und Beugen der Muskeln, merkt, wie Anspannen, Lösen, Schwingen und Gleiten ineinander übergehen.
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Nach der Position der Peitsche nimmt er die des Kranichs ein, der die Flügel ausbreitet. Dabei muss er tief in die Hocke gehen, tiefer als es seine Wollhose erlaubt. Da sie sowieso kratzig und schmutzig ist, macht er den Gürtel auf und schüttelt sie sich von den Beinen. Tief runter, während der weiße Kranich die Flügel ausbreitet, die über seine Knie streichen, ein Faustschlag als schein-barer Abschluss, dann wieder so tief runter, dass die Gelenke knirschen und die Muskeln schmerzen, dabei mit den Händen Wellenbewegungen vollführen, bis Rückgrat und Steißbein knacken und nachgeben und Spannungen sich schlagartig lösen. Die Bänder dehnen sich, der Brustkasten weitet sich, der Atem steigt im Einklang mit den Bewegungen des Zwerchfells genauso locker empor, wie er zurückströmt, der Geist öffnet sich und sein strubbeliges Haar ist feucht von kühlem
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