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Titel: Upload Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cory Doctorow
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bewege meinen Rumpf an der breiten Foto-zelle vorbei, ziehe ihn schnell wieder zurück und lasse die Tür zufallen. Inzwischen ist die Schwelle weiß, und das bedeutet, dass das Zimmer an-81
    nimmt, ich hätte es betreten, während ich in Wirklichkeit auf dem Gang stehe. You put your torso in, you take your torso out, you do the hokey-pokey and you shake it all about.
    Gleich darauf schlurfe ich am Schwesternzimmer und den geschlossenen Türen der Patienten-räume vorbei, höre das gedämpfte, narkotisierte Stöhnen, Schnarchen und Furzen der Kleinen Nachtmusik auf dieser Station. Geduckt überque-re ich die Kreuzung zweier Gänge und wende mich den Aufzugstüren zu; doch dann fällt mir ein, dass ich ein Tattletale-Wireless-Alarmgerät am Fußgelenk trage, das einen Höllenspektakel veranstalten wird, wenn ich auf diesem Wege aus-zubüchsen versuche. Außerdem bin ich in Unterwäsche. Ich kann nicht einfach locker ins Foyer spazieren.
    Aus der Station dringen Geräusche, als würden jetzt die ersten Patienten wach. Außerdem bin ich mir sicher, dass ich die weichen Schritte weiß be-sohlter Schuhe um die Ecke kommen höre. Deshalb lege ich einen Zahn zu und renne einfach drauflos. Die Hamster in meinem Kopf sind davon überzeugt, dass ich genauso umsichtig und plan-mäßig vorgehe, wie es von einem Verrückten zu erwarten ist. Warum, fragen sie, bittest du nicht einfach um zusätzliche Medikamente, anstatt dich derart meschugge aufzuführen?
    Eindeutig geht jemand den benachbarten Gang 82
    entlang. Ich höre die Schritte von Turnschuhen, das Quietschen eines Rads. Ich habe gesehen, was man mit Herumtreibern macht: Man verpasst ihnen eine hübsche chemische Zwangjacke, einen Tablettencocktail, der die Hamster tagelang zum Schweigen bringen wird. Zeit, dass ich verschwinde.
    Über einer Tür am anderen Ende des Korridors leuchtet ein Schild mit der Aufschrift AUSGANG.
    Als ich keuchend darauf zu renne, merke ich, dass ein Keil unter der Tür steckt und irgendjemand die Alarmanlage mit einem Streifen Leukoplast außer Betrieb gesetzt hat. Durch diese Tür gelange ich zu einer Feuertreppe und entdecke dort einen be-helfsmäßigen Aschenbecher aus Alufolie, der voller Kippen ist. Offenbar legt hier jemand vom Personal nächtliche Zigarettenpausen ein. Die strengen Rauchverbote im Staate Massachusetts sind die besten Freunde, die ein flüchtiger Irrer überhaupt haben kann.
    Die Treppe ist grau, nüchtern und zweckmäßig und nach drei watteweichen Wochen auf der Station erfrischend hart und kantig. Abwärts geht’s, denn unten liegt die Tür zur Freiheit. Ich muss nur irgendwo etwas zum Anziehen finden, dann setze ich mich nach Boston ab.
    Doch dann höre ich von unten etwas: das
    schnaubende, angestrengte Atmen irgendeines gottverdammten übergewichtigen Arztes mittle-83
    ren Alters, der aus gesundheitlichen Gründen die Treppe nimmt. Ich schaue den Treppenschacht hinunter und sehe zwei, vielleicht drei Treppenfluchten unter mir seinen glänzenden Kahlkopf und die weißen Knöchel auf dem Geländer.
    Also nach oben! Nach oben aufs Dach. Ich befinde mich im zwanzigsten Stockwerk, was bedeutet, dass ich noch fünfundzwanzig Etagen über mir habe und zwei Treppenfluchten pro Stock, also fünfzig insgesamt. Dann mal los. Nach oben! Ich bleibe zwei- oder dreimal stehen, japse und keuche und schaffe zehn Stockwerke, dann breche ich zusammen. Ich schwitze fürchterlich – im Treppenschacht gibt’s keine Klimaanlage. Und ich habe auch nichts dabei, um mir den Schweiß ab-zuwischen, der mir über den Körper strömt, durch die Arschfalte die Beine hinunter. Ich drücke mein Gesicht an die kühlen, lackierten Wände aus Betonziegeln, erst die eine, dann die andere Wange, und laufe weiter.
    Als ich schließlich die Tür öffne, die auf das mit Kieselsteinen übersäte Dach führt, ist die Kühle des Tagesanbruchs eine Wohltat. Während glü-
    hende Finger die Sonne über den Horizont zerren, betrete ich das Dach und spüre, wie sich die Kieselsteine in meine weichen Fußsohlen graben, kalt wie das Flussbett, aus dem sie gebaggert wurden. Hinter mir schwingt die Tür träge zu, aber ich wirbele noch rechtzeitig herum, bekomme sie im 84
    letzten Moment zu fassen, und als Dank für meinen Einsatz quetscht mir der Türpfosten die Finger. Gegen den Widerstand des pneumatischen Schließmechanismus ziehe ich sie wieder auf.
    Indem ich meine Fußkante als Bulldozer benutze, scharre ich einen Haufen Kieselsteine zusammen, der zunächst

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