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Urangst

Urangst

Titel: Urangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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sich vermeiden lassen, wenn sie vor dem Messer kapituliert hätte.
    Doch selbst in ihren finstersten Momenten hätte sie sich niemals umgebracht. Auch Selbstzerstörung war eine Form von Mord.
    Ihr Glaube ließ sie diese Zeit überstehen, aber nicht ihr Glaube allein. Auch ihre Fähigkeit, Muster im Chaos zu entdecken, wo andere keine sahen, leistete ihr gute Dienste.
    Muster wiesen auf einen Sinn hin. Selbst dann, wenn der Sinn noch so unergründlich erscheinen mochte, selbst dann, wenn sich die Bedeutung ihrem Verständnis für alle Zeiten entziehen konnte, gab ihr die Erkenntnis, dass es einen Sinn gab, dennoch Mut.
    Sie las die Muster im Leben wie andere Leute in Teeblättern, Handflächen und Kristallkugeln lesen. Aber ihre Deutung war nicht von einem abergläubischen Regelsystem geleitet.
    Einzig und allein ihre Intuition entschied für sie, was die Muster bedeuteten und welche Handlungen sie ihr nahelegten. In ihrer Vorstellung war Intuition ein Wort für Wahrnehmungen,
die auf einer weitaus tiefer angesiedelten Ebene als dem Unterbewusstsein empfangen wurden. Intuition bedeutete, mit der Seele zu sehen.
    Ihr Handy, das auf dem Nachttisch ans Stromnetz angeschlossen war, damit der Akku sich auflud, läutete. Sie hatte eine Abneigung gegen dieses ganze melodiöse Gebimmel, die Stimmen von Comicfiguren und die lärmenden Klänge, mit denen Telefone heutzutage »läuteten«. Ihr Handy gab nur ein leises Surren von sich.
    Es überraschte sie, dass sie um diese Uhrzeit einen Anruf bekam, und sie griff schnell nach dem Telefon, bevor das Läuten Brian wecken konnte, und sagte leise: »Hallo?«
    Niemand antwortete.
    Brian schlief weiter, doch Nickie war aufgewacht. Sie hob den Kopf, um Amy zu beobachten.
    »Hallo?«, wiederholte sie.
    »Ach. Bist du das, meine Liebe? Ja, natürlich bist du es.«
    Die liebliche hohe Stimme war unverwechselbar. Fast hätte Amy Schwester Maus gesagt, doch sie hielt sich gerade noch rechtzeitig zurück und sagte: »Schwester Jacinta.«
    »Ich habe in der letzten Zeit so oft an dich gedacht, Amy.«
    Amy zögerte. Sie dachte an die Pantoffeln. Jetzt war ihr so zumute wie in dem Moment, als Nickie darauf beharrt hatte, dass sie ihre Pantoffeln entgegennahm. »Schwester … mir geht es auch so. Ich habe oft an Sie gedacht.«
    Schwester Jacinta sagte: »Natürlich trage ich dich immer in meinem Herzen, du warst einer meiner absoluten Lieblinge, aber in der letzten Zeit kommst du mir ständig in den Sinn, und da ich andauernd an dich denke, dachte ich mir, ich sollte besser mal mit dir reden.«
    Die Rührung schnürte einen Knoten in Amys Stimmbänder.

    »Meine Liebe? Ist es in Ordnung, dass ich mich bei dir melde – ich meine, einfach so, mitten in der Nacht?«
    Amys Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als sie sagte: »Gerade erst heute Abend habe ich Brian, einem Freund … habe ich Brian von damals erzählt, von unserem Maskottchen Nickie.«
    »Dieser wunderbare Hund.«
    »Und von dem Medaillon, das Sie mir geschenkt haben. «
    »Und das du immer noch trägst.«
    »Ja.« Mit ihrem Zeigefinger fuhr sie die Konturen der Kamee nach.
    »Dieser Freund, meine Liebe, liebst du ihn?«
    »Schwester, es tut mir leid, aber ich … ringe gewissermaßen mit mir selbst.«
    »Nun, Liebe ist da oder nicht. Das musst du doch wissen. «
    Amy murmelte jetzt nur noch. »Ja. Ich liebe ihn.«
    »Hast du es ihm gesagt?«
    »Dass ich ihn liebe? Ja.«
    »Ich meine, hast du ihm alles gesagt?«
    »Nein. Das wissen Sie vermutlich. Ich habe es noch nicht getan.«
    »Er muss es wissen.«
    »Es ist so schwer, Schwester.«
    »Die Wahrheit wird dich in seinen Augen nicht herabsetzen. «
    Sie konnte kaum noch sprechen. »Sie setzt mich in meinen eigenen Augen herab.«
    »Ich bin stolz darauf, dass du eines meiner Mädchen warst. Ich sage: ›Seht sie euch an, sie war eines meiner Mädchen der Gnadenreichen Mutter, seht ihr, welches Leuchten von ihr ausgeht?‹«

    Amys Tränen flossen jetzt wieder, diesmal stumme Tränen. »Wenn ich nur glauben könnte, dass es wahr ist.«
    »Denk daran, mit wem du sprichst, meine Liebe. Natürlich ist es wahr.«
    »Entschuldigen Sie.«
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Sag es ihm einfach nur. Er muss es unbedingt wissen. Es ist unumgänglich. Und jetzt sieh zu, dass du eine Weile schläfst, Kind. Schlaf jetzt.«
    Amy hörte zwar kein Klicken in der Leitung, spürte jedoch, dass die Verbindung abgerissen war. »Schwester Jacinta? «
    Sie erhielt keine Antwort.
    »O Schwester

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