Urangst
wieder auf den Leuchtturm zu sprechen. Brian ahnte, dass sie nicht in Hörweite anderer Leute über diese Phase ihres Lebens reden wollte.
Ihm wurde klar, dass sie auf eine Enthüllung zusteuern musste, die ihr zutiefst widerstrebte, auf diesen Ringbolzen in der Vergangenheit, von dem er schon lange den Verdacht hatte, sie sei an ihn gekettet.
Seine eigene Enthüllung hatte ihr sicherlich geholfen. Zehn Jahre lang hatte er das Kind im Stich gelassen, das er gezeugt hatte. Was auch immer Amy getan haben mochte, es war unwahrscheinlich, dass es ihr die Last der Schuld aufbürdete, die Brian seinem Empfinden nach zu Recht trug.
Vanessa rief an, während sie zu Mittag aßen. »Ihr werdet durch San Francisco und über die Golden Gate Bridge fahren. «
»Mir war nicht klar, dass es so weit sein würde.«
»Willst du dich etwa bei mir ausweinen, Bry?«
»Nein. Ich meine ja nur.«
»Zehn Jahre meines Lebens waren der reinste Dreck, weil ich für unser Piggy Pig sorgen musste, und jetzt jammerst du mir wegen einer einzigen längeren Autofahrt etwas vor?«
»Vergiss meine Bemerkung. Du hast Recht. Wie geht es weiter, nachdem wir die Brücke überquert haben?«
»Haltet euch weiterhin auf der 101 in nördlicher Richtung. Ich rufe an, um dir Einzelheiten durchzugeben. Und
überhaupt, Bry, ihr hättet nicht nach San Francisco fliegen und von dort aus weiterfahren können. Nicht auf Abruf, nicht mit dem Hund.«
Er sah aus dem Fenster und warf einen Blick auf Nickie. »Dann lässt du uns also tatsächlich beobachten.«
»Mein nervöser reicher kleiner Junge sagt, was ist, wenn irgendeine Skandalshow den Hund verkabelt hat. Ist das zu fassen? Den Hund ?«
»Ich habe es dir doch schon gesagt – ich werde bestimmt nicht riskieren, dass unsere Abmachung platzt.«
»Das weiß ich, Bry. Seine Sicherheitsleute werden euch und euren Geländewagen elektronisch abtasten, sobald ihr hier ankommt. Dann werden sie eben auch den Hund abtasten. Vielleicht ist ein Mikrofon in sein Halsband eingebaut. Vielleicht hat er ein Netzteil im Arsch. Ist das nicht irrsinnig komisch?«
»Wenn du meinst.«
»Bis bald, Bry.«
Sie beendete das Gespräch.
Brian stocherte lustlos in der zweiten Hälfte seiner Mahlzeit herum, und Amy schien ebenfalls der Appetit vergangen zu sein.
»Ich will, dass das aufhört«, sagte er. »Ich will Hope in Sicherheit wissen, weit weg von ihr.«
»Dann lass uns aufbrechen«, sagte Amy.
Als sie zu dem Expedition zurückkehrten, sprang Nickie aus dem Wagen, um zu pinkeln, und dann nahm sie huldvoll zwei Kekse entgegen, ihre Belohnung, weil sie ein so geduldiges Mädchen gewesen war.
Nachdem die Hündin wieder in den Geländewagen gesprungen war und sich zu Brian umdrehte, der an der Heckklappe stand, sah er ihr in die Augen und hielt ihrem festen Blick stand. An diesem bewölkten Tag wurden Nickies
warme braune Augen, die den Farbton von Zuckerrübensirup hatten, nicht durch gebrochenes Sonnenlicht aufgehellt, sondern waren voller Schatten, ihr Blick wirkte fest, direkt und finster.
Im ersten Moment empfand er nichts Seltsames, doch dann schien ihn die Zentripetalkraft dieser Augen anzuziehen. Er nahm wahr, wie sich sein Herzschlag beschleunigte, und innerlich erfüllte ihn die Wahrnehmung von etwas abgrundtief Geheimnisvollem und er verspürte den glühenden Wunsch, das zu verstehen, was ihn dazu gebracht hatte, mit einer solchen Besessenheit zahllose Studien ihrer Augen zu zeichnen.
In seiner Erinnerung stieg das komplexe Geräusch wieder auf, das den Anschein erweckt hatte, ihn zu umschlingen und ihn einzuhüllen: ein Zischen, ein Schwirren, ein leises Klappern, ein Rascheln und ein Plumpsen, ein tiefes Pochen und ein Surren, ein Sausen, und dann dieses Rumpeln …
Das Geräusch riss abrupt ab, als sich die Hündin von ihm abwandte.
Brian nahm wahr, dass die Verkehrsgeräusche auf der Straße langsam wieder aus der tiefen Stille auftauchten, in der sie, wie er jetzt erst merkte, versunken gewesen waren.
Er schloss die Heckklappe und ging um den Wagen herum zur Beifahrertür. Amy hatte den Wunsch geäußert zu fahren.
Im Wagen auf offener Strecke würden sie ungestört sein. Dort ließen sich Geheimnisse leichter mitteilen.
Auf der Interstate schwieg sie eine Weile, doch dann sagte sie. »Mit achtzehn habe ich einen Mann geheiratet, der Michael Cogland hieß. Wahrscheinlich hatte er schon von dem Tag an, als ich seinem Heiratsantrag zustimmte, die Absicht, mich zu töten.«
54
Als er am Abend zuvor
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