Urangst
im Dunkeln kann sie als vernünftig durchgehen. Sogar Normalität kann sie recht überzeugend heucheln. Ihre Schönheit betört.
Vor allem in Purpur, aber auch in Rosa und Weiß, entzücken Hortensiensträuße das Auge, aber die Pflanze enthält ein tödliches Gift; die Blütenblätter von gelbem Jasmin, als Tee aufgebrüht oder unter einen Salat gemischt, können in weniger als zehn Minuten töten.
Moongirl liebt die schwarze Rose mehr als jede andere Blume, obwohl sie nicht giftig ist.
Harrow hat sie den dornigen Stängel einer solchen Rose so fest umklammern sehen, dass Blut von ihrer Hand tropfte.
Ihre Schmerzschwelle ist, ebenso wie seine, hoch. Es ist nicht etwa so, dass sie den Stachel der Rose genießt; sie spürt ihn ganz einfach nicht.
Sie hat ihren Körper und ihren Geist vollständig unter Kontrolle. Ihre Emotionen hat sie nicht in der Gewalt. Sie ist demnach unausgeglichen, und Ausgeglichenheit ist eine Voraussetzung geistiger Gesundheit.
Was sie heute Nacht in einem fensterlosen Raum tun, in den kein Sternenlicht reichen kann und in dem die Uhr mit den Leuchtziffern in einem geschlossenen Nachttisch steht, ist nicht Liebemachen, denn ihre zunehmend grausamen Paarungen haben nichts mit Liebe zu tun.
Keine Frau hat Harrow jemals so erregt wie diese. Sie hat den ultimativen Hunger der Schwarzen Witwe an sich, die alles verzehrende Leidenschaft einer Gottesanbeterin, die ihren Gefährten während des Koitus tötet und frisst.
Er rechnet fast damit, dass Moongirl eines Nachts ein Messer zwischen der Matratze und dem Bettgestell oder irgendwo in der Nähe des Bettes verbergen wird. In der Dunkelheit blind wird er im vorletzten Moment hören, wie sie Darling flüstert, ein plötzlich auftauchendes Stilett zwischen seinen Rippen spüren und sein schwellendes Herz platzen fühlen.
Wie immer ist die Vorfreude auf den Sex faszinierender als die eigentliche Erfahrung. Am Ende fühlt er sich seltsam ausgehöhlt und hat das sichere Gefühl, das Wesentliche des Akts sei ihm wieder einmal entgangen.
Verausgabt liegen sie in der Stille der Schwärze, so stumm, als seien sie aus dem Leben hinaus in das äußere Dunkel getreten.
Moongirl ist nicht für viele Worte zu haben, und wenn sie etwas zu sagen hat, sagt sie es immer unumwunden.
In ihrer Gesellschaft folgt Harrow diesem Beispiel. Weniger Worte bedeuten ein geringeres Risiko, dass eine bloße Beobachtung als Kränkung oder Verurteilung missverstanden wird.
Sie reagiert empfindlich, wenn sich andere ein Urteil über sie bilden. Wenn ihr ein Ratschlag nicht passt, könnte er als Tadel aufgefasst werden. Eine wohlmeinende Bemerkung könnte als beißende Kritik ausgelegt werden.
Jetzt, in den Nachwehen des Geschlechtsakts, hat Harrow keine Furcht vor einem Messer, das sie im Bettzeug verborgen haben könnte. Falls sie jemals versuchen sollte, ihn zu töten, wird dieser Versuch zwischen dem eigentlichen Geschehen und seiner Krönung stattfinden, im aufsteigenden Augenblick ihrer Erfüllung.
Jetzt, nach dem Sex, sucht er keinen Schlaf. Meistens schläft Moongirl tagsüber und blüht in der Nacht auf; und Harrow hat sich darauf eingestellt, nach ihrer Uhr zu leben.
Für ein so reifes Wesen liegt sie stocksteif in der Dunkelheit, wie eine hungrige Erscheinung, die auf einem Ast balanciert, als Rinde getarnt, und auf einen unachtsamen Passanten wartet.
Nach einer Weile sagt sie: »Lass uns anzünden.«
»Was anzünden?«
»Das, was angezündet gehört.«
»In Ordnung.«
»Nicht sie, falls es das ist, was du denkst.«
»Ich denke gar nichts.«
»Sie heben wir uns für später auf.«
»In Ordnung«, sagt er.
»Ich meine einen Ort. Ein Haus.«
»Wo?«
»Wir werden es wissen.«
»Wie?«
»Wenn wir es sehen.«
Sie setzt sich auf und ihre Finger tasten sich mit der untrüglichen Eleganz einer Blinden, die einer Zeile Blindenschrift bis zum Schlusspunkt folgt, zum Schalter der Lampe vor.
Als er sie in dem weichen Licht sieht, will er sie wieder, aber er kann sie nie nach Lust und Laune nehmen. Seine Befriedigung hängt immer von ihren Bedürfnissen ab und im Moment ist das Anzünden das Einzige, was sie braucht.
Harrow ist sein Leben lang ein Einzelgänger gewesen und hat seine Mitmenschen nur benutzt, selbst dann, wenn andere ihn als Freund oder Angehörigen betrachtet haben. Da er sich der Welt gegenüber als Außenseiter fühlt, hat er konsequent in seinem eigenen Interesse gehandelt – bis er Moongirl begegnete.
Was ihn mit ihr verbindet, ist
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