Urangst
und verzweifelt nach Möglichkeiten suchte, ihn durch unlösbare Bande mit Mater Misericordiae zu verknüpfen, beschloss sie, sie müssten ihm sofort einen Namen geben. Auf der Stelle, solange er noch nass vom Bad war. Instinktiv wusste sie, dass ein Hund mit einem Namen sich schneller
in die Herzen der Schwestern einschleichen würde als ein namenloser Streuner.
Sie verkündete, da in gut zwei Monaten Weihnachten sei, müsste der Hund ein verfrühtes Geschenk von Sankt Nikolaus sein und sollte daher nach ihm benannt werden. Schwester Agnes teilte ihr mit, dieser Findling sei ein Mädchen. Davon ließ sich Amy nur für einen kurzen Moment aus dem Konzept bringen: »Dann nennen wir sie eben Nickie.«
Jetzt, fast achtundzwanzig Jahre später, wandte Brian am Steuer des Ford Expedition den Blick von der Straße und sagte: »Mein Gott. Der gleiche Name.«
Amy beobachtete, wie er die Konsequenzen dieses scheinbaren Zufalls durchdachte, und obwohl er seine Aufmerksamkeit wieder der Schnellstraße zugewandt hatte, registrierte sie, dass ihn ein Schauer der Verwunderung überlief.
»Da war dieser seltsame Moment letzte Nacht in der Küche der Brockmans«, erinnerte sich Brian, »unmittelbar bevor du Carl Geld geboten hast. Du hattest neben dem Hund gekauert und plötzlich bist du aufgestanden und hast ihn mit weit aufgerissenen Augen angestarrt. Du hast ausgesehen … ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, nicht nur verblüfft, sondern betroffen, aber ich konnte nicht verstehen, woran es lag.«
»Er hat ihren Namen genannt. Janet hatte ihn nicht erwähnt, als sie mich angerufen hat. Von Anfang an, schon bevor sich all diese anderen eigentümlichen Dinge zugetragen haben, wusste ich, dass der Name kein Zufall war. Und frag mich jetzt nicht, woher ich das gewusst habe oder was ich inzwischen noch dazu meine. Ich wusste … dass es kein Zufall war. Und später, als ich Janet gefragt habe, warum sie beschlossen haben, die Hündin Nickie zu nennen, hat sie gesagt, Theresa hätte ihr diesen Namen gegeben.«
»Das kleine autistische Mädchen«, sagte Brian.
»Ja. Autistisch oder was auch immer sie sein mag. Theresa hat gesagt, die Hündin sollte Nickie genannt werden, weil das schon immer ihr Name gewesen sei .«
Er warf wieder einen Blick auf sie. »Schon immer?«
»Schon immer. Was sie damit gemeint hat … wer weiß. Aber ich sage dir Brian, sie hat etwas damit gemeint.«
Achtundzwanzig Jahre zuvor und dreitausend Meilen östlich der kalifornischen Küste hatten die Schwestern nach dem Bad in jener Nacht den Namen Nickie für den Findling akzeptiert. Sie hatten gesehen, dass die Hündin Amy sofort aus ihrer Besorgnis erregenden Schweigsamkeit geholt hatte, dass sie nicht länger den Wunsch zu verspüren schien, sich abzusondern, und dass sie wieder begonnen hatte zu lächeln. Sie wollten sie in dieser Entwicklung bestärken.
Als Nickie sauber und trocken war, beschlossen die Nonnen, sie solle in der Krankenstation schlafen, wo Schwester Regina Marie den Nachtdienst übernahm, wenn Patienten dort waren.
Obwohl sie gebadet, ihre Wunde behandelt, sie gefüttert worden war und man ihr ein weiches Lager aus zusammengefalteten Decken bereitet hatte, erwies sich die Hündin, die ein vorzeitiges Geschenk von Sankt Nikolaus war, keineswegs zufrieden, als Amy sie verließ. Das unaufhörliche klägliche Wimmern setzte wieder ein.
Es mag sein, dass die Vorstellung von Therapiehunden damals noch praktisch unbekannt war, doch die Nonnen der Mater Misericordiae erkannten, dass es zwischen dem Mädchen und der verwahrlosten vierbeinigen Streunerin eine Verbindung gab, deren Wert man nicht bestreiten konnte. Vorschriften wurden großzügig ausgelegt bzw. ignoriert, denn Amy kampierte, obwohl sie bei bester Gesundheit war, auf der Krankenstation, während man eine
Woche lang herauszufinden versuchte, woher der Hund gekommen war.
Die unermüdlichen und beharrlichen Gebete, mit denen Amy Gott auf die Nerven ging, mussten bewirkt haben, dass er irgendwann aufgebracht die Hände hochriss und rief, dass es in den Himmelsgewölben widerhallte: »Schon gut, schon gut, es reicht!« Die Schwestern scheiterten also in ihren gut gemeinten Bemühungen, den Besitzer ausfindig zu machen.
Nachdem der Tierarzt Dr. Shepherd Nickie untersucht und ihr die nötigen Impfungen gegeben hatte und nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Hund ein ungewöhnlich gutes Benehmen hatte und stubenrein war, machte Mater Misericordiae – die
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