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Urangst

Urangst

Titel: Urangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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laut ausspricht, wird er ihr antworten. Er tut es nie. Aber ab und zu probiert sie es immer noch.
    Bär ist tot. Aber er könnte ihr trotzdem antworten.
    Bär ist tot, aber auch Bär ist ewig.
    Er wird immer bei ihr sein. Das hat er ihr versprochen.
    Ganz gleich, was passiert, Piggy, ich werde immer bei dir sein.
    Mutter hat ihn getötet. Piggy hat gesehen, wie es passiert ist.
    Piggy wollte auch getötet werden.
    Lange Zeit war alles ganz schlimm. Sehr, sehr schlimm. Es war dann sogar dunkel, wenn Licht brannte.
    Das Einzige, was die Dunkelheit vertreiben konnte, war Das, Was Ewig Glänzt, und es war ihr Geheimnis.

    Jetzt sieht Piggy es noch einmal an, bevor sie es wieder in den Kissenbezug steckt.
    Silber. Bär hat gesagt, es sei aus Silber.
    Es ist ein Wort, eines der wenigen Wörter, die sie lesen kann, wenn sie sie sieht. Das Wort hängt an einer silbernen Kette. Das Wort heißt HOPE. Hoffnung.

46
    Sie fuhren durch ein Drive-in, um Hamburger, Pommes und alkoholfreie Getränke mitzunehmen, die sie auf der Fahrt verspeisten, mit Papierservietten im Kragen ihrer T-Shirts und weiteren Papierservietten auf dem Schoß.
    Nickie streckte ihren Kopf zwischen den Sitzen durch und leckte sich die sabbernden Lefzen, damit es nicht tropfte, während sie Amy dazu brachte, ihr drei Happen von ihrem Hamburger und vier Fritten abzugeben. Sie zog ihren Kopf zurück und legte sich gehorsam hinter Amys Sitz, als ihr streng mitgeteilt wurde: »Mehr gibt’s nicht, nada, Schluss jetzt.«
    Jede Straße hat ihren Zauber, vor allem nachts, und wenn man im fahrenden Auto isst, trägt das zu der Freude am Reisen bei. Fortbewegung vermittelt eine Illusion von Sicherheit. Dahinter steckt die irrige Vorstellung, dass die Schicksalsmächte uns nicht finden können, dass sie an dem Ort, von dem wir kürzlich aufgebrochen sind, vor der Tür stehen und anklopfen, um eine überraschende Wendung oder eine Laune des Schicksals zu überbringen, die wir nicht in Empfang nehmen müssen, solange wir unterwegs sind.
    Dieser falsche, aber willkommene Traum von Sicherheit, gepaart mit dem Genuss herrlich ungesunder Nahrung, versetzte Amy in eine Stimmung, die Enthüllungen vorstellbarer machte, als sie es je gewesen waren.
    Nachdem sie gegessen und sämtliche Papierservietten und Abfälle in die leere Hamburgertüte gestopft hatten, sagte
sie: »Ich habe dir erzählt, dass ich vor dem Waisenhaus ausgesetzt worden bin, von der Adoption und von dem Zementlaster und meiner Rückkehr ins Waisenhaus … aber ich habe dir nie von meinem ersten Hund erzählt.«
    Nach dem Verkehrsunfall und der Rückkehr ins Heim der Mater Misericordiae war sie häufig in anhaltendes Schweigen verfallen, das den Nonnen Sorgen bereitete. Im Gegensatz zu früher hatte sie nur noch selten gelächelt und häufig den Wunsch verspürt, sich von den anderen abzusondern.
    Einen Monat nach ihrer Rückkehr hatte sie sich an einem sonnigen Oktobernachmittag allein und unauffällig ans hinterste Ende des Spielplatzes zurückgezogen, das am weitesten von der Kirche, der Klosterschule und dem Wohngebäude entfernt war. Diese Gebäude umschlossen den viereckigen Hof von Mater Misericordiae. Der große Spielplatz war hoch gelegen und von dort aus fiel eine Wiese sanft zu dem Tal ab, wo die Stadt sich erhob, der Fluss strömte und die Schnellstraße im Hintergrund verschwand.
    Sie saß genau da auf dem gemähten grünen Gras, wo es auf der Kuppe des Hügels endete, unter den weit verzweigten Kronen gewaltiger alter Eichen. Nach einem sengend heißen Altweibersommer waren die hohen Gräser der sanft abfallenden Wiese zu der Farbe des Sonnenscheins ausgebleicht, der ihnen das Grün geraubt hatte.
    Die Schatten der Eichen begannen am frühen Morgen den Hang hinabzugleiten. Wenn dann die Mittagszeit näher rückte, zogen sie sich immer höher auf den Hügel zurück. Um diese nachmittägliche Stunde schlichen sich die tintigen Schatten anderer Bäume am unteren Ende der Wiese Richtung Kuppe.
    Die kleine Amy sah etwas Goldenes durch die Schatten herankommen, das dann rotgolden im weißgoldenen Gras
durch den Sonnenschein weiter hinaufstieg. Als sie erkannte, dass es ein Hund war, erhob sie sich auf die Knie, und als sie sah, dass er hinkte, stand sie auf.
    Zu jener Zeit hatte sie noch keinen Kontakt zu Hunden gehabt und blickte diesem Tier mit einer natürlichen Wachsamkeit entgegen. Aber da der Hund hinkte und seinen linken Hinterlauf schonte, war Amys Wachsamkeit durch Mitgefühl gemildert. Sie

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